Der Stammbaum – ab an den Rechner!
Bei einem Stammbaum geht man davon aus, dass sich nahe verwandte Arten untereinander mehr ähneln als entfernter verwandte. Je weniger Unterschiede es zwischen zwei Vertretern gibt, desto weniger Verzweigungspunkte trennen sie und sie rücken im Baum näher zusammen.
Zusammen mit den Doktorandinnen Cornelia Krause und Christina Schüßler fütterte ich neben den selbst erhobenen Sequenzdaten noch 99 weitere Glockenblumen-Sequenzen, die von anderen Wissenschaftlern veröffentlicht wurden, einem Computerprogramm mit dem klangvollen Namen BEAST, das mir nun endlich den ersehnten Stammbaum ausspuckte.
Dieser stelle sowohl die Verwandtschaftsbeziehungen als auch das Alter der Arten dar. Es zeigte sich, dass die heutigen Glockenblumen-Arten verhältnismäßig jung sind. Jung bedeutet hier ca. 0.5 – 2 Millionen Jahre! Zum Vergleich: Ginkgo als“ lebendes Fossil“ ist sehr alt und hat schon vor ca. 170 Millionen Jahren existiert!
Wieso ist es nun so, dass anscheinend alle untersuchten Glockenblumen so jung sind? Hier lohnt sich eine kleine Zeitreise zurück zu dem Punkt, an dem die Arten entstanden sind. Welche Bedingungen haben damals geherrscht? Welche Ereignisse könnten die Entstehung, Ausbreitung und Zurückdrängung einer Art beeinflusst haben?
Sehr wahrscheinlich sind die starken Klimaschwankungen des Pleistozäns und dabei besonders die Eiszeiten verantwortlich. Die Vergletscherungen könnten Populationen einer Art voneinander trennen, sodass kein Austausch zwischen den Individuen der räumlich getrennten Gruppen mehr stattfand. Dauert diese Isolation über viele Generationen an, kann es passieren, dass sich die ursprünglich zur gleichen Art gehörenden Individuen nicht mehr untereinander fortpflanzen können – eine neue Art ist entstanden.
Glockenblumen sind eine sehr artenreiche Gruppe, von denen außerdem auffällig viele Vertreter in Gebirgen vorkommen. Es stellte sich für uns also die Frage, ob die Glockenblumen die Gebirge einmal oder mehrfach besiedelt haben. Unsere Daten weisen darauf hin, dass dieser Schritt tatsächlich mehrfach unabhängig voneinander entstanden ist: Im Stammbaum fanden sich nahe verwandte Arten auch im gleichen Gebiet. Dabei gab es sowohl gebirgsbesiedelnde, als auch im Flachland wachsende Arten – folglich hat das Ereignis der Gebirgsbesiedelung aus dem Flachland mehrfach stattgefunden. Auf einen Austausch zwischen verschiedenen Gebirgen geben die Daten des Stammbaums dagegen keinen Hinweis: es wurde keine engere Verwandtschaft zwischen zwei gebirgsbesiedelnden Arten gefunden, die geographisch entfernt voneinander verbreitet sind.
Zusammenfassend beschreibt die Graphik die Vorgänge, die stattgefunden haben und den erhaltenen Stammbaum erklären:
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