Leg ich heut‘ nicht, leg ich morgen!

17.04.2014 | Paavo Bergmann

Am Anfang einer wissenschaftlichen Untersuchung steht eine Frage, am Schluss eine Antwort – aber nicht unbedingt auch eine auf die Ausgangsfrage. Die Wege der Erkenntnis sind oft verschlungen.

Ein Jugendstadium der 1 mm großen Hornmilbe Archegozetes longisetosus in dreidimensionaler Darstellung, zusammengesetzt aus tomographischen Einzelbildern. Im Inneren sind die Fortpflanzungsorgane rot gekennzeichnet (Bild: SMNS / P. Bergmann).

Hornmilben sind produktiv, aber wählerisch

Zu Anfang wollte ich zusammen mit Michael Heethoff und Michael Laumann von der Universität Tübingen eigentlich nur untersuchen, wie sich die millimetergroße Hornmilbenart Archegozetes longisetosus fortpflanzt. Von dieser sind nämlich nur Weibchen bekannt. Wie funktioniert ihre Fortpflanzung ohne Männchen? Herausgekommen sind aber auch andere interessante Erkenntnisse….

Wir wollten zunächst die Entwicklung der Eizellen während ihrer Reifeteilung untersuchen. Die Eizellen zu gewinnen ist allerdings gar nicht so einfach, denn über den Aufbau und die Entwicklung der Fortpflanzungsorgane dieser Art war kaum etwas bekannt. Also galt es zunächst mal, geeignetes Material zu beschaffen: Wir züchteten Hornmilben, sammelten jeden Morgen die frisch gelegten Eiballen ab und isolierten sie. Der Milbennachwuchs wurde täglich geerntet und unterschiedlich lange großgezogen.

Die klassische Herangehensweise zur Untersuchung der Milben sähe nun so aus: Die verschieden alten Stadien werden fixiert, in Kunstharz eingebettet, in dünnste Scheiben von 0.5μm geschnitten und gefärbt. Wenn alles geklappt hat, lassen sich dann aus den Schnitten die Anatomie der Organe und die Entwicklung der Eizellen rekonstruieren. Sie sehen schon: Wenn man dieses Programm für viele Individuen durchzieht, ist man eine ganze Weile beschäftigt. Es ging aber schneller!

dreidimensionaler Darstellung des Jugendstadiums einer Hornmilbedreidimensionaler Darstellung des Jugendstadiums einer Hornmilbe
Ein Jugendstadium der 1 mm großen Hornmilbe Archegozetes longisetosus in dreidimensionaler Darstellung, zusammengesetzt aus tomographischen Einzelbildern. Im Inneren sind die Fortpflanzungsorgane rot gekennzeichnet (Bild: SMNS / P. Bergmann).

Milben im Synchrotron

Abhilfe schuf hier der technische Fortschritt: Teilchenbeschleuniger wie die European Synchrotron Radiation Facility (ESRF) in Grenoble erzeugen Röntgenstrahlen, die wesentlich feiner aufgelöste und kontrastreichere Bilder liefern als herkömmliche Röntgenquellen. Messzeit ist knapp und kostbar – aber es gelang uns, ein paar Stunden bewilligt zu bekommen. Wir reisten also mit sorgfältig getrockneten Milben aller Altersstufen nach Grenoble und tomographierten im Dreischichtbetrieb Tag und Nacht, jede kostbare Minute nutzend, eine Milbe nach der anderen. Die Mühe lohnte sich: Aus den Aufnahmen konnten wir am Rechner 3D-Modelle erstellen, die die Entwicklung der Fortpflanzungsorgane klar erkennen ließen. In der Körpermitte befinden sich der kugelige Eierstock (Ovar), links und rechts davon in Schleifen die Eileiter (Ovidukte), durch die die Eier zum Legeapparat (Ovipositor) gelangen. In den Eierstöcken erwachsener Milben fanden wir wie auf einer Perlschnur aufgereiht sich entwickelnde Eizellen, die dicht in ein dünnes Hüllgewebe verpackt waren.

In den Eileitern aber lagen bereits fertige, fest beschalte Eier lose in einem Gewebeschlauch. Es gab also wachsende Eizellen und fertige Eier, aber die zu erwartenden Zwischenstufen fehlten. Außerdem fiel uns auf, dass Tiere, die wir vom gleichen Legedatum isoliert hatten, zum Teil unterschiedlich weit entwickelt waren. Auch waren die Gelege der Milben nicht gleich groß. Da sie nicht auf eine Paarung angewiesen sind, hatten wir eigentlich erwartet, dass unsere Zuchtmilben mit konstanter Rate Eier legen. Offensichtlich taten sie dies aber nicht. Die Milben waren bei der Eiablage offenbar wählerisch, wie kleine Osterhasen legten sie ihre Eier bevorzugt an versteckten und schwer zugänglichen Stellen ab. Dabei hatte die Größe des Verstecks aber nichts mit der Größe der Gelege zu tun. Vielmehr legten die Tiere manchmal in kurzen Abständen kleine Gelege ab, dann wieder nach längeren Pausen große Ballen von bis zu über dreißig Eiern. Die Jungen aus diesen Gelegen schlüpften auch nicht gleichzeitig. Manche knackten ihre Eischale nach wenigen Stunden, manche erst nach über einer Woche. Die Eiablage war offenbar kein zuverlässiger Zeitmarker für Entwicklungsuntersuchungen. Uns begann nun auch der Zusammenhang zwischen dem Legeverhalten der Mütter und der frühen Kindesentwicklung zu interessieren.

Unter dem Elektronenmikroskop: Wie frisch ist ein frisches Ei?

Was war hier los? Plötzlich standen einige neue Fragen im Raum: Wie genau entstehen aus wachsenden Eizellen fertige Eier? Welche Bedeutung hat dabei der Eileiter? Wann wird ein Ei abgelegt? Wann beginnt eine neue Generation?

Hier halfen die Synchrotron-Scans nicht mehr weiter. Wir mussten also doch wieder klassisch arbeiten und Schnitte für die Licht- und Elektronenmikroskope anfertigen. Durch die Tomographien wussten wir aber genau, wo wann welche Strukturen in der Milbe zu finden sind – das reduzierte den Aufwand beträchtlich. Unter dem Elektronenmikroskop wurde dann deutlich, dass sich genau am Beginn der röhrenförmigen Eileiter tatsächlich interessante Prozesse abspielen, die unsere Beobachtungen erklären können: Wir konnten beobachten, dass bereits im Eierstock nicht nur Dotter, sondern auch Eihüllenmaterial auf der Eizelle abgelagert wurde. Zu diesem Zeitpunkt ist die Hülle noch porös und durchlässig, schließlich müssen ja gleichzeitig die Dotternährstoffe von außen in das Ei gelangen. Richtig spannend wurde es dann, wenn ein fertig mit Dotter ausgestattetes Ei vom Eierstock in den Eileiter übertrat: Sobald die Hüllzellen auseinanderwichen und die Eioberfläche mit der Substanz im Eileiter in Berührung kam, verfestigte sich die Eihülle sofort zu einer undurchlässigen, festen Schicht. Ab diesem Moment sind die Eier also von ihrer Umwelt, und damit auch ihrer Mutter, isoliert. Damit war das Rätsel der fehlenden Zwischenstufen gelöst. Auch die Funktion der Eileiter wurde deutlich: Sie sorgen dafür, dass aus mütterlichen Eizellen abgeschlossene Einheiten werden – die werdenden Töchter – und dienen dann als Aufbewahrungsraum für die Eier bis zur Ablage.

Elektronenmikroskopische Aufnahme eines Eis einer HornmilbeElektronenmikroskopische Aufnahme eines Eis einer Hornmilbe
Elektronenmikroskopische Aufnahme eines Eis im Übergang vom Eierstock zum Eileiter. Die Eihülle ist im Eierstock noch porös und wird erst im Eileiter zur festen Schale (Bild: SMNS / P. Bergmann).

Frühe Kindheit

Während der Zeit im Eileiter bleibt die Entwicklung der Embryonen nicht stehen: Je weiter vorne, in Richtung Legeapparat, ein Ei liegt (also je älter es ist), desto weiter entwickelt ist der Embryo. Je mehr Eier der Eileiter enthielt, desto weiter entwickelt waren die ältesten.

Und plötzlich verstanden wir auch die unterschiedlichen Schlupfzeiten und Entwicklungszustände: Die Eier waren eben nicht gleich alt gewesen. Ihre Embryonalentwicklung beginnt nicht erst mit der Eiablage, sondern bereits viel früher, sobald das Ei vom Ovar ins Ovidukt gelangt.

Was bedeutet das für die Milbe? Die Muttermilbe kann kontinuierlich Eier produzieren – sie ist ja nicht auf die Paarung mit einem Männchen angewiesen. Auch die fertigen Eier müssen keine Ruhepause bis zur Befruchtung einlegen, bevor die Entwicklung des Embryos beginnen kann. Die Milbe muss die Eier aber nicht kontinuierlich ablegen, sondern ist eine gewisse Zeit flexibel– bis die Eileiter zum Bersten gefüllt sind – und kann auf gute Legebedingungen warten. Wenn das Weibchen dann eine geeignete Stelle und passende Bedingungen zur Eiablage findet, also ideale Startbedingungen für ihren Nachwuchs, setzt es ein Gelege mit allen gerade im Ovidukt vorrätigen Eiern ab. Diese haben dann zwar das gleiche Legedatum, sind aber keineswegs gleich alt.

Die kleinen, urtümlich wirkenden Milben sind also hochgradig an die Tücken und Chancen ihres Daseins angepasste Single-Mütter und haben wohl eine ähnlich komplizierte Eiablage wie die der Osterhasen, was aber noch zu erforschen wäre.

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