Natur am Bau

09.12.2015 | PD Dr. Anita Roth-Nebelsick

Ein Gebäude muss viele Anforderungen erfüllen. Zunächst offensichtliche: Es soll stabil sein und eine angenehme Innenatmosphäre haben. Dann viele verborgene: Leitungen für Strom, Gas, Wasser, Heizung und Daten zum Beispiel. Und überdies soll es noch originell aussehen, und – Zauberwort unserer Zeit – nachhaltig sein. Architekten haben schon seit längerer Zeit Strukturen und Design von Tieren und Pflanzen im Auge, um sich Anregungen aus der Natur für neue architektonische Konzepte zu holen. Ein neuer überregionaler Sonderforschungsbereich, an dem neben dem Museum die Universitäten Stuttgart, Tübingen und Freiburg beteiligt sind, widmet sich für die nächsten Jahre der Kooperation zwischen Architekten, Ingenieuren und Biologen/Paläontologen.

Querschnitt durch die Schale des Seeigels Clypeaster rosaceus. Zu erkennen ist, wie porös die stabile Schale ist. Außerdem zeigt der Seeigel interessante Pfeilerkonstruktionen (Bild: W. Gerber, Geowissenschaftliches Institut, Universität Tübingen).

Natürliche Formen als Inspiration

Architekten lassen sich schon seit langem von natürlichen Formen inspirieren. Neben dem gestalterischen Aspekt besteht ein großes Interesse an biologischen Funktionen. Gebäude und Organismen haben ja einige gemeinsame Probleme. Zum Beispiel die Stabilität: Tragende Konstruktionen und Gebäudehüllen sollen möglichst stabil sein, aber nicht zu viel Eigengewicht haben, und dazu möglichst materialsparend sein bzw. nicht zu hohe Kosten verursachen. Daneben müssen zahlreiche andere Funktionen durch ein Gebäude erfüllt werden, wie z.B. die Bereitstellung von Leitungen, die unterschiedlichen Zwecken dienen. Ebenfalls wichtig ist die Schaffung eines angenehmen Innenraumklimas. Jeder kennt den Treibhauseffekt in schlecht geplanten Wintergärten …

ForschungspavillonForschungspavillon
Ein Forschungspavillon der Fakultät für Architektur an der Universität Stuttgart. Inspirierendes Vorbild ist die „Luftblasenwohnung“ der Wasserspinne (Bild: A. Roth-Nebelsick / SMNS).

Ein neuer Sonderforschungsbereich befasst sich mit mehr Natur in der Architektur

In einem Sonderforschungsbereich der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG), der Ende 2014 eingerichtet wurde, arbeiten Architekten, Biologen und Ingenieure an naturinspirierten neuen Konzepten in der Architektur. Bei der DFG läuft das Programm unter der Bezeichnung „Transregio 141“, weil es sich dabei um einen überregionalen Verbund handelt, bei dem verschiedene Institutionen mitwirken, nämlich die Universitäten Tübingen, Freiburg, Stuttgart, das Museum für Naturkunde in Stuttgart und weitere Einrichtungen. Alle Projekte und Akteure werden auf der Homepage von Transregio vorgestellt.

Die einzelnen Projekte widmen sich ganz verschiedenen Fragestellungen. Es geht dabei u.a. um Materialien, um bewegliche und verformbare Elemente sowie um neues Design. So werden Bewegungsvorgänge in der belebten Natur untersucht, für neue Konzepte sich automatisch bewegender Gebäudeteile, beispielsweise für Beschattungsfunktionen. Die Skelette von besonders stabilen Seeigeln sind zum Beispiel interessant aufgrund ihres leichten Materials und ihres Aufbaus aus einzelnen Plattenelementen, die – anders als bei den berühmt berüchtigten Plattenbauten der DDR – individuelle Formen aufweisen.

Querschnitt SeeigelQuerschnitt Seeigel
Querschnitt durch die Schale des Seeigels Clypeaster rosaceus. Zu erkennen ist, wie porös die stabile Schale ist. Außerdem zeigt der Seeigel interessante Pfeilerkonstruktionen (Bild: W. Gerber, Geowissenschaftliches Institut, Universität Tübingen).

Beteiligung des Naturkundemuseums Stuttgart

Bei jedem Einzelprojekt schauen sich Biologen genau an, was bei Tier oder Pflanze geschieht, während sich die Ingenieure der Technik und die Architekten der Umsetzung in ein Bauwerk widmen. Ich selbst bin über ganz konkrete biologische Fragestellungen in die „bionische Szene“ gekommen, da mich die Funktionsweise biologischer Strukturen interessiert, und zwar vor allem die physikalischen Grundlagen. Dies ist meist das Herzstück eines „echten“ bionischen Projektes. Ich bin seit den allerersten Planungen für den Transregio dabei, und zwar bereits seit Ende 2010. So lange hat die Vorbereitungs- und Planungsphase gedauert. Das lag auch daran, dass es einen sehr großen Diskussionsbedarf zwischen den unterschiedlichen Fachdisziplinen gibt.  Bei dem Begriff „Membran“ beispielsweise denken Architekt, Ingenieur und Biologe an ziemlich verschiedene Dinge. Das hört sich sehr anstrengend an, aber ich finde das spannend. So ein fachliches „Multikulti“ erweitert den Blickwinkel und als Biologe bekommt man nicht selten eine andere Perspektive, die bei der Forschung weiterhilft. Man lernt ständig dazu.

Das Museum für Naturkunde ist mit zwei Projekten vertreten. Ein Projekt schaut sich die Evolution einer bestimmten Laubmoosgruppe an, um herauszufinden, wie und wo sich etwas ändert. Die Architekten möchten daraus lernen, wie sich „Design“ während der biologischen Evolution wandelt. Das andere – mein – Projekt betrifft die Frostfestigkeit von mehrjährigen Pflanzen in winterkalten Gebieten. Bei diesen Projekt interessiert uns (mich und die Doktorandin im Projekt, Rena Schott) besonders die Umlagerung von Wasser während des Gefriervorganges, bzw. wo genau und wann in der Pflanze etwas gefriert.

Zu diesen beiden Projekten demnächst mehr im Science Blog des Museums!

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