Was Mücken im Bernstein über die Vergangenheit unserer Kontinente erzählen

27.07.2017 | Frauke Stebner

In Bernstein können selbst fragilste Insekten erhalten bleiben. Was für Geheimnisse diese Winzlinge enthüllen können, ist erstaunlich ...

Die Gnitze Gedanohelea gerdesorum im Indischen Bernstein hat ihre nächsten Verwandten im Baltischen Bernstein aus Europa und Fushun Bernstein aus China. Maßstab: 0.2 mm (Bild: AG Ryszard Szadziewski, Polen).

Fossile Mücken und Jurassic Park

Wer an Mücken denkt, hat fast automatisch das Bild von kleinen, blutsaugenden Quälgeistern und Krankheitsüberträgern im Kopf. Dabei sind die allerwenigsten Mücken Blutsauger!

Bei fossilen Mücken denkt man sofort an Jurassic Park und die Möglichkeit, Saurier aus extrahiertem Saurierblut in fossilen Mücken zu klonen und wieder auferstehen zu lassen. Das ist allerdings aus verschiedenen Gründen vermutlich nicht möglich. So bleibt die DNS, das Erbgut von Lebewesen, nur unter speziellen Bedingungen, wie zum Beispiel unter niedrigen Temperaturen, erhalten. Die mit ca. 600 000 Jahren älteste erhaltene DNS stammt daher auch aus dem Permafrost. Das ist bei Bernsteineinschlüssen, die 15 – 130 Millionen Jahre alt sind, natürlich nicht gegeben. Zudem wurde das Erbgut in Bernsteinfossilien über die Jahrmillionen hinweg in der Regel durch verschiedene Harzkomponenten, wie zum Beispiel Terpene, verändert.

Dennoch können uns fossile Mücken auch abseits von Jurassic Park viel über die Vergangenheit erzählen. Während der vergangenen Jahre habe ich mich mit Mücken aus einer neu entdeckten Bernsteinfundstelle im Westen Indiens beschäftigt. Diese kleinen Insekten flogen vor 54 Millionen Jahren in einem tropischen Wald im Westen Indiens herum und hatten das Pech, an klebrigem Baumharz hängen zu bleiben. Des einen Leid, des anderen Freud: Nur so können die Bernsteineinschlüsse uns Jahrmillionen später Geschichten über ihrem ehemaligen Lebensraum erzählen.

Die Arbeit vor der eigentlichen Arbeit

Bis wir den Winzlingen im Bernstein ihre Geheimnisse entlocken konnten, war allerdings im wahrsten Sinne des Wortes ein weiter Weg nötig. Indischer Bernstein war bis vor wenigen Jahren nahezu unbekannt und unerforscht. Während meiner Zeit als Mitarbeiterin in der Arbeitsgruppe von Prof. Jes Rust am Steinmann-Institut an der Universität Bonn wurde in jahrelanger Arbeit erst einmal eine wissenschaftliche Sammlung aufgebaut. Unser wissenschaftliches Abenteuer begann mit mehreren Sammlungsreisen nach Indien, bei denen viele hundert Kilogramm Bernstein aufgesammelt wurden.

Der aufwändigste Part der Arbeit folgte aber erst noch: die mühevolle Durchsicht und Präparation tausender Bernsteinstücke, die wir als Leihgabe des Birbal Sahni Institutes in Lucknow, Indien, nach Deutschland überführen und wissenschaftlich untersuchen durften. Letzteres geschah unter anderem in Zusammenarbeit mit unserem indischen Kooperationspartner Dr. Hukam Singh sowie Dr. David Grimaldi aus dem Naturkundemuseum in New York.

Wir konzentrierten uns auf das Vorkommen verschiedener Mückenfamilien, vor allem Gnitzen, Zuckmücken, Schmetterlingsmücken und die pilzmückenverwandten Lygistorrhiniden. Die Auswahl fiel auf gerade diese Familien, da es sich dabei entweder um sehr häufige Fossilien handelte, oder es waren Verwandtschaftsgruppen, die für unsere Fragestellungen von besonderer Bedeutung waren. Unsere Untersuchungsobjekte wurden zunächst einmal fotografiert, gezeichnet und wissenschaftlich beschrieben. Die spannendsten Erkenntnisse offenbarten sich aber erst durch einen Vergleich der Mücken des Indischen Bernsteins mit denen anderer Bernsteinvorkommen. Nach getaner wissenschaftlicher Arbeit durften die Fossilien dann wieder zurück in ihre Heimat reisen, um im Birbal Sahni Institut Teil einer stetig wachsenden Sammlung Indischen Bernsteins zu werden.

Frauke Stebner mit Hammer und Meißel an KohleschichtenFrauke Stebner mit Hammer und Meißel an Kohleschichten
Bei der Arbeit: Bernstein sammeln in Indien. Ich arbeite mit Hammer und Meißel Indischen Bernstein aus den Kohleschichten heraus (Bild: A. Bergmann).

Paläobiogeografie und Plattentektonik

Eine der wichtigsten Fragestellungen meines Projektes bezog sich auf die komplizierte plattentektonische Vergangenheit Indiens. Indien war nämlich nicht seit jeher mit dem Rest Asiens verbunden. Abgetrennt vom heutigen Nordamerika, Europa und Asien bildete Indien vor 180 Millionen Jahren zusammen mit  Australien, Afrika, Madagaskar und Südamerika den zusammenhängenden Großkontinent Gondwana. Im späten Jura begann dieser Großkontinent allerdings auseinanderzubrechen. Indien trennte sich vor ca. 130 Millionen Jahren von dem Rest Gondwanas und driftete nach Norden, bis es vor etwa 50 Millionen Jahren mit Asien kollidierte.

Durch diesen Zusammenstoß faltete sich der Himalaya auf. Lange Zeit wurde nun angenommen, dass Indien während seiner Reise nach Norden für Millionen von Jahren isoliert gewesen war, so dass sich eine einzigartige, endemische Tier- und Pflanzenwelt ausbilden konnte. Ähnliches kann heute auf Madagaskar beobachtet werden.

Wenn dieses Szenario stimmen sollte, sollten eigentlich auch die von uns untersuchten Mücken im Indischen Bernstein eine einzigartige Fauna darstellen und die engsten verwandtschaftlichen Verbindungen zu Mücken aus dem übrigen ehemaligen Gondwana-Kontinent haben. Überraschenderweise ließen sich die Ergebnisse unserer Untersuchungen damit überhaupt nicht in Einklang bringen: Als nächste Verwandte unserer Fossilien im Indischen Bernstein erwiesen sich Mücken aus europäischem und asiatischem Bernstein! Gedanohelea, eine ausgestorbene Gattung der Gnitzen, kommt beispielsweise nur in altersgleichen Bernsteinen aus Indien, dem Baltikum und China vor.

Diese erstaunlichen Ergebnisse lassen sich nur so interpretieren, dass es vermutlich vor der eigentlichen Kollision Indiens und Asiens schon einen regen Faunenaustausch zwischen den Kontinenten gegeben haben muss. Dies wiederum legt nahe, dass Indien während seiner Drift nicht komplett von den nördlichen Kontinenten abgeschnitten gewesen ist. Denkbar wären Verbindungen über Inselketten, welche es den Mücken und anderen Tieren ermöglichte, sich bereits vor der Verbindung der Landmassen zwischen ihnen auszubreiten.

Paläoökologie – Rekonstruktion früherer Lebensräume

Die Paläoökologie ist ein Gebiet der Paläontologie, welches uns spannende Einblicke in frühere Lebensräume ermöglicht. Die Vorgehensweise in der Forschung an Fossilien folgt häufig dem Aktualitätsprinzip: Man geht davon aus, dass die Lebensweise der ausgestorbenen Tiere denen heute lebender naher Verwandter ähnelt. Wenn sich beispielsweise die Larve einer heute lebenden Mückenart sich ausschließlich in schnell fließenden Flüssen entwickelt, dann vermutet man eine ähnliche Lebensweise auch bei den verwandten ausgestorbenen Arten im Bernstein. So kann man beispielsweise auf das Vorhandensein bestimmter Gewässertypen schließen. Es ist sogar möglich, anhand von blutsaugenden Mücken im Bernstein auf deren Wirte zu schließen – mit aller Vorsicht, denn es könnten natürlich auch Wirtswechsel vorgekommen sein. In einigen Fällen handelt es sich hierbei um fossil nicht überlieferte Wirbeltiere, wie Frösche oder Kleinsäuger. Das Ganze kann man sich wie ein riesiges Puzzle vorstellen, in der jede zusätzliche, noch so kleine Information ein wichtiger Teil eines Gesamtbildes ist. Durch die Untersuchungen der Mücken im Indischen Bernstein konnten wir so nach und nach dazu beitragen, das Bild eines tropischen Regenwaldes mit unterschiedlichen Kleinsthabitaten zu rekonstruieren. Interessanterweise scheint das Baumharz Mücken aus ganz unterschiedlichen, lokal getrennten Habitaten konserviert zu haben. Für ein detaillierteres Bild des ehemaligen Bernsteinwaldes müssen aber sinnvollerweise weitere Daten anderer Tier- und Pflanzengruppen ausgewertet werden.

Schöner Zufallsfund – Verhalten im Fossilbericht

Manchmal findet man auch einzigartige Dinge, nach denen man gar nicht gesucht hat. Der Fund eines Weibchens von Camptopterohelea odora, einer Gnitze aus dem Indischen Bernstein, gehört definitiv dazu.

Das Tier besitzt eine bis dahin nicht bekannte taschenartige Struktur auf den Flügeln. Untersuchungen des Fossils im Teilchenbeschleuniger in Hamburg (Deutsches Elektronensynchrotron) haben es uns ermöglicht, die Strukturen dreidimensional in größtmöglicher Detailgenauigkeit darzustellen.

Der Vergleich der Flügeltaschen mit ähnlichen Strukturen bei bestimmten Schmetterlingen lieferte uns weitere Hinweise über die mögliche Funktion dieser Taschen: Wir gehen davon aus, dass C. odora, ähnlich wie manche Schmetterlinge, in diesen Flügeltaschen Sexuallockstoffe speichern und diese zur gezielten Anlockung von Männchen abgeben konnte. Dies erfolgte vermutlich durch so genanntes Flügelwinken, wobei die Mücken heftig mit den Flügeln schlagen („winken“). Auf diesem Weg könnten die Lockstoffe wie mit einem Fächer verteilt worden sein. Bei allen anderen Gnitzen ist eine solche Struktur nicht bekannt. Allerdings haben die nächsten lebenden Verwandten des Fossils eine interessante Behaarung auf den Flügeln, welche ebenfalls in Verbindung mit der Abgabe von Sexuallockstoffen stehen könnte. Dieser Hypothese möchte ich nun im Rahmen eines neuen Projektes hier am SMNS auf den Grund gehen.

Foto der fossilen Mücke und Rekonstruktion des FossilsFoto der fossilen Mücke und Rekonstruktion des Fossils
Camptopterohelea odora. A) Foto der fossilen Mücke. Die taschenartigen Flügelstrukturen sind als dunkle runde Flecken zu erkennen. Maßstab: 0.2 mm (Bild: F. Stebner / SMNS). B) Rekonstruktion des Fossils anhand von Synchrotrondaten (Rekonstruktion: P. T. Rühr).

Literatur

  • Stebner, F., Singh, H., Rust, J. & Grimaldi, D. (2017): Lygistorrhinidae (Diptera: Bibionomorpha: Sciaroidea) in early Eocene Cambay Amber. PeerJ 5:e3313
  • Stebner, F., Baranov, V., Zakrzewska, M., Singh, H. & Giłka, W. (2017): The Chironomidae diversity based on records from early Eocene Cambay amber, India, with implications on habitats of fossil Diptera. Palaeogeography, Palaeoclimatology, Palaeoecology; 475: 154–161
  • Stebner, F, Szadziewski, R., Singh, H., Gunkel, S. & Rust, J. (2017): Biting midges (Diptera: Ceratopogonidae) from Cambay amber indicate that the Eocene fauna of the Indian subcontinent was not isolated. PLoS ONE; 12: e0169144
  • Stebner, F., Szadziewski, R., Rühr, P. T., Singh, H., Hammel, J. U., Kvifte, G. M. & Rust, J. (2016): A fossil biting midge (Diptera: Ceratopogonidae) from early Eocene Indian amber with a complex pheromone  evaporator. Scientific Reports, 6: 34352

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