Was uns Knochen erzählen

09.08.2016 | Dr. Nicole Klein

Als lebendes Gewebe unterliegt Knochen ständigen Veränderungen und kann so Hinweise auf z.B. Wachstum, Krankheiten oder Futterknappheit liefern. Auch sieht die Knochenstruktur von landlebenden Wirbeltieren anders aus als bei Schwimmern. Da dieser Feinaufbau oft auch bei versteinerten Knochen vorhanden ist, lassen sich daraus Rückschlüsse auf das Leben ausgestorbener Tiere ziehen.

Umzeichnungen von Dünnschliffen zweier Sauropterygier, eines großen Nothosauriers (links) und eines Placodontiers (rechts) aus dem Oberen Muschelkalk (ca. 237 Millionen Jahre vor heute) von Süddeutschland. Weiß: Festes Knochengewebe. Schwarz: Hohlräume wie Markhöhle, Resorptionshöhlen, wo primärer Knochen aufgelöst wird, sowie Kanäle für die Blutgefäße, die den Knochen mit Nährstoffen versorgen (Bild: SMNS / N. Klein).

Untersuchungen an Dünnschliffen verraten viel über die Lebensweisen fossiler Saurier

Knochengewebe wird durch Blutgefäße ernährt und kann langsam oder sehr schnell wachsen. Zudem kann der Ablagerungsprozess  – das Wachstum –  kontinuierlich oder zyklisch ablaufen, also ohne oder mit regelmäßigen Unterbrechungen. Sehr früh beginnen bei einigen Wirbeltiergruppen bereits Umbauprozesse von innen, aus der Markhöhle, heraus, wobei der zunächst abgelagerte Knochen (primäre Knochen) durch sekundären Knochen ersetzt wird. Er kann aber auch abgebaut werden, so dass große Hohlräume entstehen.

Knochen ist also kein starres Gewebe, sondern unterliegt ständig Veränderungen, die von inneren (Wachstum, Fortpflanzung, Krankheiten) und äußeren (Klima, Futter) Faktoren beeinflusst werden. All das spiegelt sich in der Feinstruktur des Knochens wider, in der Verteilung von Hohlräumen (Blutgefäße, Markhöhle) und kompaktem Knochen. Zur Untersuchung dieser Mikrostruktur werden Dünnschliffe angefertigt. Die Mikrostruktur gibt zum Beispiel Aufschluss über die Schwimmfähigkeiten und Lebensweise im Wasser lebender Tiere. Ist der Knochen sehr schwer und kompakt (wenige Blutgefäße) mit einer kleinen zentralen Markhöhle, deutet dies auf eine küstennahe und vor allem tauchende Lebensweise hin. Leichte Knochen mit einer großen zentralen Markhöhle sowie vielen großen Blutgefäßen sind typisch für ausdauernde Schwimmer, die eher entfernt von der Küste, im offenen Meer, lebten.

Untersuchung von KnochenprobenUntersuchung von Knochenproben
Um Mikrostruktur und Knochengewebe zu untersuchen, benötigt man eine geeignete Probe. Wichtig ist es, immer nur Knochenproben zu vergleichen, die vom gleichen Knochen (z.B. Oberarm) und dort an der gleichen Stelle (z.B. an der schmalsten Stelle des Knochenschaftes) entnommen werden. Diese Knochenproben werden dann sehr aufwendig im Labor von Präparatoren zu Dünnschliffen verarbeitet (Bild: SMNS / N. Klein).

Die Mikrostruktur des Knochens bei Flossenechsen (Sauropterygia)

Zurzeit beschäftige ich mich hauptsächlich mit im Meer lebenden fossilen Sauriern, die das flache, warme Meer besiedelten, welches vor rund 245 Millionen Jahren, in der Mittleren Trias, Teile des heutigen Mitteleuropas bedeckte. Bei diesen Tieren interessiert mich besonders die Knochenhistologie, also der Feinaufbau der Knochen, denn diese Tiere wuchsen viel schneller als heutige Krokodile, Schildkröten oder Echsen. Sie sind mit diesen auch nicht näher verwandt, sondern gehören einer eigenen Gruppe nun ausgestorbener Reptilien an, den Sauropterygia (Flossenechsen). Innerhalb der Sauropterygia gibt es vier Hauptgruppen, die sich äußerlich teilweise sehr ähnlich waren, aber sich histologisch und in der Mikrostruktur ihrer Oberarmknochen deutlich unterschieden. Dies deutet auf verschiedene Lebensweisen und die Besiedlung unterschiedlicher Lebensräume hin.

Dünnschliffe zeigen auf den ersten Blick deutliche Unterschiede, die Rückschlüsse auf die Lebensweise und die Schwimmfähigkeiten erlauben. Bei dem Nothosaurier (in der Zeichnung links) ist das kompakte Knochengewebe stark reduziert; übrig ist nur eine dünne gut durchblutete Knochenwand. Der Oberarm war sehr leicht und ermöglicht schnelles Schwimmen. Charakteristisch ist auch die fast dreieckige Form, die an einen Flugzeug-Tragfläche erinnert und dem Tier vermutlich den energetisch günstigen „Unterwasserflug“ ermöglichte. Heutige „Flieger unter Wasser“ sind z. B Meeresschildkröten und Pinguine. Der Placodontier (in der Zeichnung rechts) hingegen zeigt das umgekehrte Bild: eine sehr dicke Schicht kompakter Knochen mit einer deutlich reduzierten Markhöhle. Als küstennaher Taucher, der sich wohl größtenteils von Muscheln ernährte, ist es für ihn energetisch günstiger, schwere Knochen zu haben. Gut sichtbar sind im Placodontier-Oberarm parallel zur Oberfläche verlaufende Stillstandslinien des Wachstums.

Das Knochengewebe

Das Knochengewebe der fossilien marinen Reptilien ist dem heutiger Reptilien ähnlich. Allerdings sind die Fasern, die das Gewebe aufbauen, deutlich chaotischer abgelagert. Sie verlaufen kreuz und quer statt z.B. parallel. Außerdem sind sie viel besser mit Blutgefäßen versorgt, das heißt, es wurde viel schneller abgelagert. Diese Tiere hatten also eine erhöhte Wachstumsrate. Schnelles Wachstum wurde durch ein subtropisches Klima und das warmes Meerwasser während der mittleren Trias begünstigt.

Trotz des recht einheitlichen Gewebeaufbaus unterscheiden sich die vier Gruppen innerhalb der Sauropterygia deutlich durch die Anordnung und Menge der Blutgefäße und in der Organisation der Kollagenfasern. Placodontier hatten die höchste Wachstumsrate mit einem recht ungeordnet abgelagerten Gewebe und sehr vielen und großen Blutgefäßen. Dies ist verwunderlich im Hinblick auf ihren zylindrisch- massiven Körperbau und der vermuteten gemächlichen Lebensweise. Hohe Wachstumsraten gehen heute nämlich meist mit einer aktiven Lebensweise von z.B. schnellen Beutegreifern einher. Man würde das deshalb bei Nothosaurier erwarten, die als aktive Jäger in küstenferneren Bereichen lebten. Sie hatten aber im Vergleich zu den Placodontiern eine geringere Wachstumsrate.

Blutgefäße Placodontier (rechts) Nothosaurier (links)Blutgefäße Placodontier (rechts) Nothosaurier (links)
Placodontier (rechts) haben sehr viel und große, hier radial angeordnete, Blutgefäße die auf eine hohe Wachstumsrate hindeuten. Nothosaurier (links) hatten weniger und kleinere Blutgefäße. Sie wuchsen folglich langsamer. (Knochengewebe in Braun- und Gelbtönen, Blutgefäße sind hier weiß, silber oder schwarz) (Bild: SMNS / N. Klein).

Literatur

  • Klein, N., Sander, P.M., Krahl, A., Scheyer, T.M., and Houssaye, A. (2016). Diverse Aquatic Adaptations in Nothosaurus spp. (Sauropterygia)—Inferences from Humeral Histology and Microanatomy. PLoS ONE 11(7): e0158448.
  • Klein, N. and Griebeler, E.-M. (2016). Bone histology, microanatomy, and growth of the nothosauroid Simosaurus gaillardorti (Sauropterygia) from the Upper Muschelkalk of southern Germany/Baden-Württemberg. Comptes rendus Palevol 15 (1–2):142–162.
  • Klein, N., Neenan, J. Scheyer, T.M. , and Griebeler, E.-M., (2015). Growth patterns and life history strategies in Placodontia (Diapsida: Sauroptertygia). Royal Society Open Science 2: 140440. http://dx.doi.org/10.1098/rsos.140440.
  • Klein, N., Houssaye, A., Neenan, J.M., and Scheyer, T.M. (2015). Long bone histology and microanatomy of Placodontia (Diapsida: Sauropterygia). Contributions to Zoology 84 (1) 59–84.
  • Klein, N. (2010). Long Bone Histology of Sauropterygia from the Lower Muschelkalk of the Germanic Basin Provides Unexpected Implications for Phylogeny. PLoS ONE 5(7): e11613. doi:10.1371/journal.pone.0011613.

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