02.08.2023 | Forschende entdecken das Fossil eines extrem schweren Urzeit-Wals. Der Fund verändert das Verständnis der Walevolution

Neuer Urwal ist ein Anwärter auf das schwerste Tier aller Zeiten

PRESSEMITTEILUNG
Bild1 Rekonstruktion von Perucetus colossus Kuestengewaesser Copyright Alberto Gennari
Bild1 Rekonstruktion von Perucetus colossus Kuestengewaesser Copyright Alberto Gennari

Stuttgart, 02.08.2023. Ein internationales Wissenschaftler*innen-Team um Dr. Eli Amson, Paläontologe am Staatlichen Museum für Naturkunde Stuttgart, hat das fossile Skelett einer neuen Art der frühesten Wale entdeckt und erforscht. Diese Verwandten der heutigen Wale, Delfine und Schweinswale lebten bereits vor ungefähr 39 Millionen Jahren vollständig in küstennahen Gewässern und hatten enorme Körpermassen. Die neue Art trägt den Namen Perucetus colossus, „der kolossale Wal aus Peru“. Der Urwal ist ein Anwärter auf den Titel des „schwersten Tiers aller Zeiten“. Die Forschungsergebnisse des Wissenschaftler*innen-Teams sowie die Beschreibung der neuen Art Perucetus colossus wurden in der Fachzeitschrift „Nature“ veröffentlicht.

Der Fund liefert neue Erkenntnisse zur Evolution der Wale
Die Entdeckung einer riesigen Art, wie Perucetus colossus, die von einer starken Zunahme der Knochenmasse betroffen ist, verändert das Verständnis der Wal-Evolution. Erstmals zeigen die Untersuchungen der Forschenden, dass die gigantischen Körpermassen der Wale bereits 30 Millionen Jahre früher erreicht wurden, als bisher angenommen. Die Zunahme der Knochenmasse ist eine Anpassung an das Leben im Wasser, die auch heute bei flach tauchenden Küstentieren zu beobachten ist. Bisher wurde der evolutionäre Übergang zu echtem Gigantismus bei Walen, wie er bei den modernen Bartenwalen – z.B. dem Blauwal – zu beobachten ist, als ein relativ junges Ereignis angesehen, das vor etwa 10 Millionen Jahren stattfand. Darüber hinaus handelt es sich bei diesen gigantischen Arten um Tiere, die im Gegensatz zu dem neu beschriebenen Urzeit-Wal, im offenen Meer leben.

„Für uns ist eines der entscheidenden Ergebnisse unserer Arbeit, dass sich der Übergang zu echtem Gigantismus bei Walen viel früher in der Erdgeschichte entwickelte, als wir bisher dachten. Perucetus colossus kombiniert eine gigantische Größe mit extrem hohem Knochengewicht und lebte bereits vor 39 Millionen Jahren. Dieser frühe Wal verschiebt die bisher bekannte Obergrenze der Skelettmasse bei Säugetieren und im Wasser lebenden Wirbeltieren drastisch. Möglicherweise ist er auch das schwerste jemals beschriebene Tier“, so Dr. Eli Amson vom Staatlichen Museum für Naturkunde Stuttgart.

Anpassung an das Leben in küstennahen Gewässern
Die Fossilien von Walen und Delfinen belegen, wie sich Landtiere in ihrer Evolution extrem anpassen und zu einem Leben im Wasser übergehen. Der Auftrieb wird in der Folge zu einem entscheidenden Aspekt ihrer Biologie. „Bereits gut bekannt sind die Veränderungen der Knochenmasse bei Säugetieren, die meist in flachen Küstengewässern leben, wie beispielsweise den Seekühen. Das zusätzliche Gewicht hilft diesen Tieren, ihren Auftrieb zu regulieren und sich unter Wasser zu halten, ähnlich wie der Bleigürtel bei Tauchern. Bei modernen Walen, die in viel größere Tiefen tauchen können und weit vor der Küste leben, ist die Knochenstruktur im Gegensatz dazu viel leichter“, so Dr. Eli Amson. Das enorme Gewicht von Perucetus ist auf zwei Veränderungen des Skeletts zurückzuführen: Die Anlagerung zusätzlicher Knochenmasse an der Außenseite der Skelettelemente und die Erhöhung der Knochendichte, wodurch das Skelett schwerer wird.

Ein Koloss mit geschätzten 85 bis 340 Tonnen
Bereits vor 10 Jahren wurden das Fossil von Perucetus colossus in der Wüste an der Südküste Perus von einem der Autoren, dem Paläontologen Mario Urbina, entdeckt. In der Folge waren mehrere Feldkampagnen erforderlich, um die Teile des kolossalen Skeletts zu bergen. Jeder Wirbel des Funds wiegt weit über 100 kg und die Rippen des Urzeit-Wals erreichen eine Länge von 1,4 Metern. Mit fünf bis acht Tonnen ist das 20 m lange Skelett der neuen Art zwei- bis dreimal so schwer wie das 25 m lange Skelett eines Blauwals, das in der Hintze Hall des Natural History Museums in London ausgestellt ist.

Um das Gewicht eines lebenden Exemplars von Perucetus colossus zu schätzen, wurden verschiedene Untersuchungen durchgeführt. Das Wissenschaftler*innen-Team scannte zunächst die geborgenen und präparierten Knochen, um ihr Volumen zu messen und führte Kernbohrungen durch, um die innere Knochenstruktur zu beurteilen. Ebenso wurden vollständig erhaltene Skelette von nahen Verwandten in die Analyse mit einbezogen. Zur Rekonstruktion der Körpermasse von Perucetus verwendeten die Autoren das bei lebenden Meeressäugern bekannte Verhältnis von Weichteil- zu Skelettmasse. Mit den sich daraus ergebenden Schätzungen zwischen 85 und 340 Tonnen liegt das Gewicht der neuen Art in der Größenordnung des Blauwals oder möglicherweise darüber.

Für die Redaktionen

Originalpublikation:
Giovanni Bianucci, Olivier Lambert, Mario Urbina, Marco Merella, Alberto Collareta, Rebecca Bennion, Rodolfo Salas-Gismondi, Aldo Benites-Palomino, Klaas Post, Christian de Muizon, Giulia Bosio, Claudio Di Celma, Elisa Malinverno, Pietro Paolo Pierantoni, Igor Maria Villa, Eli Amson. A heavyweight early whale pushes the boundaries of vertebrate morphology. Nature, 02.08.2023.
DOI: 10.1038/s41586-023-06381-1
https://www.nature.com/articles/s41586-023-06381-1
Veröffentlichungsdatum: 02.08.2023

Kontakt für Fachinformationen:
Dr. Eli Amson
Abteilung Paläontologie, Kurator für fossile Säugetiere
Staatliches Museum für Naturkunde Stuttgart, Germany
Tel. +49 (0) 711 / 8936-141
E-Mail: eli.amson@smns-bw.de

Dr. Eli Amson steht Ihnen für weiterführende Informationen und Interviews gerne zur Verfügung.

Pressekontakt:
Meike Rech
Staatliches Museum für Naturkunde Stuttgart, Germany
Tel. +49 (0) 711 / 8936-107
E-Mail: meike.rech@smns-bw.de

Bildmaterial:
Bild 1: Bild1_Rekonstruktion von Perucetus colossus_Küstengewässer_Copyright_Alberto Gennari
Beschreibung: Rekonstruktion von Perucetus colossus in seinem küstennahen Lebensraum. Geschätzte Körperlänge ca. 20 Meter.
Urhebervermerk/Copyright: Alberto Gennari

Bild 2: Bild2_Rekonstruktion_Perucetus_und_Supayacetus_Copyright_Alberto Gennari
Beschreibung: Rekonstruktion von Perucetus colossus und einem anderen Basilosauridae etwa gleichen Alters, Supayacetus muizoni.
Urhebervermerk/Copyright: Alberto Gennari

Bild 3: Bild3_Perucetus-Knochen_Rekonstruktion_Copyright_Eli Amson
Beschreibung: Erhaltene und untersuchte Knochen der neuen Art Perucetus colossus.
Urhebervermerk/Copyright: Eli Amson.

Bild 4: Bild4_Eli Amson_Sammlung_SMNS_Copyright_SMNS L.Reinoehl
Beschreibung: Der Paläontologe Dr. Eli Amson in der Sammlung des Naturkundemuseums Stuttgart mit Fossilien eines kleineren Verwandten des Urwals Perucetus colossus.
Urhebervermerk/Copyright: SMNS, Liliana Reinöhl

Bild 5: Bild5_Ausgrabung_Peru_Fossilien_Perucetus colossus_Copyright_Giovanni Bianucci
Beschreibung: Ein Teil des Grabungsteams an der Fundstelle des Perucetus-Kolosses in der Provinz Ica in Südperu.
Urhebervermerk/Copyright: Giovanni Bianucci

Bitte beachten Sie, dass eine Verwendung nur mit Urhebervermerk/Copyright gestattet ist. Vielen Dank. Weiteres Bild- und Videomaterial erhalten Sie gerne auf Anfrage.

Das Naturkundemuseum Stuttgart:
Das Naturkundemuseum Stuttgart ist ein zukunftsorientiertes Forschungs- und Kommunikationsinstitut. Seine Forschungssammlungen, die Archive der Vielfalt, beinhalten über 12 Millionen Objekte. Das Museum erforscht die Evolution des Lebens und analysiert die Artenvielfalt verschiedener Ökosysteme und vermittelt Forschungserkenntnisse an die breite Öffentlichkeit.

Crowdfunding-Kampagne für die Arbeit des Museums in Lima:
Der peruanische Paläontologe Mario Urbina und seine Kollegen werden weitere Grabungen in der peruanischen Wüste durchführen, um durch mögliche Funde neue Erkenntnisse zu gewinnen. Die Aufbereitung und Konservierung der bedeutenden Fossilien ist eine der großen Aufgaben der paläontologischen Abteilung des Naturkundemuseums in Lima. Um das Museum bei der Arbeit zu unterstützen, wurde von Wissenschaftler*innen eine Crowdfunding-Kampagne gestartet.
URL: https://gogetfunding.com/help-peruvian-palaeontologists-build-a-new-paleo-lab