Ein Schmetterling sucht seine Verwandten: Das Rätsel von Pseudobiston pinratanai

07.04.2015 | Dr. Hossein Rajaei

Von der Entdeckung einer Art über ihre wissenschaftliche Beschreibung bis hin zu ihrer verwandtschaftlichen Einordnung können viele Jahre vergehen. Bei der Erforschung der neuen, von mir mitbeschriebenen Schmetterlingsfamilie Pseudobistonidae dauerte dies „nur“ 26 Jahre.

Eines der raren Museumsexemplare von Pseudobiston pinratanai befindet sich in der Schmetterlingssammlung des SMNS (Bild: H. Rajaei / SMNS).

Ein unbekannter thailändischer Schmetterling

Am 18. August 1989 fing Bruder Amnuay Pinratana, thailändisches Mitglied des katholischen Laienordens der Gabrielisten, auf einer Sammelreise in Nordthailand drei männliche Großschmetterlinge. Nun ist Bruder Pinratana nicht irgendein Mönch, der zufällig Schmetterlinge sammelt: Er steht in der großen Tradition von Geistlichen, die sich intensiv mit dem Studium von Insekten auseinandersetzen. Als führender Schmetterlingsforscher Thailands ist Bruder Pinratana auch weltweit als Tagfalter-Experte be- und anerkannt. Die drei gesammelten Nachtfalter stellten ihn allerdings vor ein Rätsel und so schickte er sie zur weiteren Bearbeitung an einen Experten für spannerartige Nachtfalter (Geometroidea), seinen japanischen Kollegen Hiroshi Inoue. Dieser erkannte schnell, dass es sich um eine bisher unbekannte Art und Gattung handelte und beschrieb die neue Schmetterlingsart im Jahr 1994 unter dem wissenschaftlichen Namen Pseudobiston pinratanai. Der Artname pinratanai ist dabei eine Referenz an Amnuay Pinratana, den Entdecker der Art. Der Gattungsname Pseudobiston („Schein-Birkenspanner“) wurde gewählt, da die Flügelform der neuen Art an die Flügelform von Birkenspannern aus der Gattung Biston erinnert.

Eines der raren Museumsexemplare von Pseudobiston pinratanai befindet sich in der Schmetterlingssammlung des SMNS (Bild: H. Rajaei / SMNS).

Verwandte gesucht

Damit hatte das Kind einen Namen – aber zu welcher Familie gehörte die neue Gattung? Das bereitete Hiroshi Inoue wesentlich mehr Kopfzerbrechen. Die Merkmalskombination von Pseudobiston ließ nämlich keine widerspruchsfreie Einordnung in das System der Großschmetterlinge zu. Schließlich stellte Inoue seine neue Gattung wegen ihrer oberflächlichen Ähnlichkeit provisorisch zur Familie der Spanner (Geometridae), wohl wissend, dass P. pinratanai ein Schlüsselmerkmal der Spanner fehlt: das Tympanalorgan. Dieses komplexe Hörorgan befindet sich bei allen Echten Spannern zu beiden Seiten des ersten Hinterleibsegmentes. Damit hören die Nachtfalter die Ultraschall-Rufe von Fledermäusen, die zu ihren wichtigsten Feinden gehören.

Pseudobiston beschäftigte Inoue auch in den folgenden Jahren. Vier Jahre später beschrieb er neue Funde von weiblichen Tieren aus Thailand und Vietnam. Das Pseudobiston-Rätsel weckte aber auch das Interesse vieler anderer Schmetterlingsforscher. Einer Lösung kam man jedoch nicht näher, auch weil zunächst kein frisches Material für genetische Analysen zur Verfügung stand.

Das Männchen von P. pinratanai in Ruhestellung (Bild: T. Ihle, Chiang Mai, Thailand).

Detaillierte Analyse mit genetischen Daten und morphologischen Merkmalen

In einem internationalen Team konnte ich schließlich ab 2012 an der Erforschung der rätselhaften Art mitwirken. Jetzt lag auch genetisches Material vor, so dass wir in einer umfassenden Studie sowohl morphologische Analysen als auch genetische Daten verwenden konnten. Zunächst integrierten wir die Daten aus acht Genen von P. pinratanai in die bisherigen genetischen Vergleichsstudien der Großschmetterlinge und berechneten deren Verwandtschaftsverhältnisse neu. Das Ergebnis bestätigte, was wir bereits vermutet hatten: P. pinratanai ist kein Spanner (Geometridae). Stattdessen – und dies war eine große Überraschung – legten die Ergebnisse eine enge Verwandtschaft mit einer artenarmen asiatischen Familie, den Epicopeiidae, nahe.

Einmal auf die Fährte gesetzt, versuchten wir nun in einem zweiten Teil der Studie, gemeinsame morphologische Merkmale zu finden, um die Ergebnisse aus der genetischen Untersuchung zu bestätigen. So verglichen wir den kompletten Körperbau, besonders Merkmale auf Kopf, Brust und Flügeln fast aller Familien der Großschmetterlinge miteinander.

Das Kladogramm zeigt die verwandtschaftliche Stellung von Pseudobiston pinratanai innerhalb der Geometroidea.

Kleine Sensation!

Um es kurz zu machen: Wir fanden zum einen Merkmale, welche die enge Verwandtschaft zu den Epicopeiidae tatsächlich bestätigte, zum anderen konnten wir für Pseudobiston pinratanai einzigartige Merkmale nachweisen, die dessen Klassifizierung in einer ganz neuen Familie der Schmetterlinge, den Pseudobistonidae, rechtfertigen. Das ist eine kleine wissenschaftliche Sensation, denn das ist keineswegs alltäglich. Die letzte Beschreibung einer neuen Familie der Großschmetterlinge liegt über 20 Jahre zurück!

Die Ergebnisse dieser Untersuchung liegen nun in Form des phylogenetischen Systems der Geometroidea vor – und die 26 Jahre lange Suche nach den Verwandten von P. pinratanai hat damit ein Ende gefunden.

Der Kopf des Männchens von Pseudobiston pinratanai, dem ersten Vertreter der neuen Schmetterlingsfamilie Pseudobistonidae (Bild: H. Rajaei / SMNS).

Literatur

  • Rajaei H., Greve, C., Letsch, H., Stüning, D., Wahlberg, N., Minet, J., Misof, B. (2015). Advances in Geometroidea phylogeny, with characterization of a new family based on Pseudobiston pinratanai (Lepidoptera, Glossata). doi:10.1111/zsc.12108.
  • Sihvonen, P., Mutanen, M., Kaila, L., Brehm, G., Hausmann, A. & Staude, H. S. (2011). Comprehensive molecular sampling yields a robust phylogeny for geometrid moths (Lepidoptera: Geometridae). PLoS ONE, 6, e20356.
  • Mutanen, M., Wahlberg, N. & Kaila, L. (2010). Comprehensive gene and taxon coverage elucidates radiation patterns in moths and butterflies. Proceedings of the Royal Society (B), 277, 2839–2848.
  • Inoue, H. (1998). Notes on Pseudobiston pinratanai Inoue (Geometridae, Geometrinae). Tinea, 15, 310–311.
  • Inoue, H. (1994). Two new genera and two new species of the Geometridae from Thailand. Tinea, 14, 5–9.

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