Plateosaurus trossingensis und die Dino Mania in Württemberg

15.11.2023 | Prof. Dr. Rainer Schoch

Die reiche Trossinger Saurierfundstelle ist Ort der Faszination und jährlicher Schauplatz für Grabungen des Naturkundemuseums Stuttgart. Funde und neueste Forschungsmethoden liefern Aufschlüsse über die frühen Riesen, Klima, Vegetation und urzeitliche Heimatgeschichte.

Die Fund- und Grabungsstelle namens „Rutschete“ an der Oberen Mühle bei Trossingen (Bild: M. Rech / SMNS).

Die „Rutschete”

Als die Dinosaurier im Jura ihre gewaltige Größe erreichten, war Deutschland vom Meer bedeckt – die Riesenformen aus dieser Tiergruppe waren daher bei uns nicht heimisch. Ihre frühe Evolution, der rasante Aufstieg und die Entwicklung ihrer Vielfalt sind dagegen bei uns außergewöhnlich gut dokumentiert. Ein Fundpunkt sticht heraus: die „Rutschete“ an der Oberen Mühle bei Trossingen. Bereits um 1908 von spielenden Kindern entdeckt, wurden an dem 60 Meter breiten und zwölf Meter tiefen Hang mehrere sehr ergiebige Grabungen durchgeführt. Die zähen, violettbraunen Knollenmergel enthalten dort nämlich zahlreiche Skelette des Dinosauriers Plateosaurus trossingensis, der eine Länge zwischen fünf und acht Metern erreichte. Die mutmaßlichen Pflanzenfresser zählen zu den häufigsten Funden in diesem 205 Millionen Jahre alten Gestein, das in einer ausgedehnten Tonschlammebene abgelagert wurde.

Neue Forschungsmethoden lüften neue Geheimnisse

Die historischen Grabungen von Eberhard Fraas (1911-13), Friedrich von Huene (1922-23) und Reinhold Seeman (1932) förderten in Trossingen insgesamt rund 80 Skelette zutage, von denen der größte Teil im Staatlichen Museum für Naturkunde in Stuttgart aufbewahrt wird. Daneben lagern auch Skelette in Tübingen, New York und an der Harvard University. Vieles hat man aus diesen Funden gelernt: Die Anatomie der frühen Riesen, ihre mutmaßliche Fortbewegung und zuletzt konnte man ihnen auch noch ihre tief in den Knochen verborgenen Lebensdaten entlocken: ihr Lebensalter, die Wachstumsrate und Geschlechtsreife sind nach Jahrzehnten der Spekulation zum Gegenstand konkreter Forschung geworden. Längst erlauben es uns nämlich neue Methoden wie die Knochenhistologie und Computertomografie, tief in die Mikrostruktur fossiler Knochen zu schauen, wo wahre Archive an biologischen Daten auf Entschlüsselung warten.

Meilenstein für die Forschung

Vieles ist aber auch noch unbekannt, und so läuft bei uns am Museum in Zusammenarbeit mit der Universität Hohenheim eine Doktorarbeit über die Evolution von Plateosaurus am Beispiel der Trossinger Funde. Joep Schaeffer hat in den letzten Jahren den Holotypus – das in Fachkreisen berühmte wissenschaftliche Referenzexemplar mit der Nummer 13200 – in großem Detail untersucht und schafft damit einen neuen Standard, der für künftige Vergleiche von Dinosaurierskeletten einen Meilenstein bilden wird. Die Knollenmergel, in denen die Skelette lagern, haben ebenfalls das Interesse unserer Paläontologen geweckt: Was sagen sie über den Lebensraum der Plateosaurier aus, wie sah die Landschaft aus, und warum kamen so viele von ihnen gerade in Trossingen zu Tode? Unsere Mitarbeiter Dr. Eudald Mujal und Dr. Orla Bath Enright untersuchen die reichen Fossillagerstätten Baden-Württembergs, und so hat auch Trossingen ihr Interesse geweckt.

Die Lagerstätte in Trossingen wirft Fragen auf

Fossillagerstätten sind eigentlich Gesteinsschichten, die zumeist regional oder lokal außergewöhnlich reich an Fossilien sind oder aber besonders gut konservierte organische Reste enthalten. Trossingen bildet in diesem Forschungsprogramm eine besondere Herausforderung, denn die Größendimension der Lagerstätte ist sehr ungewöhnlich. Die Funde sind dort ja nicht in wenigen Zentimeter dicken Lagen angereichert, und ihre Erhaltung ist auch nicht immer beeindruckend, denn die Knochen sind meist von zahllosen Rissen durchzogen und manche Skelette lagen bereits in der Trias-Zeit jahrelang offen herum, wodurch sie teilweise verwitterten. Das Besondere an Trossingen ist die Massenanreicherung von Skeletten im Zehnermeterbereich, ohne dass man am Gestein erkennen könnte, wie weit entfernt das nächste Skelett zu erwarten ist. Ein Rätsel also, das es zu klären gilt.

Wer nicht aufgibt, wird belohnt!

Wenn man an der Rutschete gräbt, kann die Monotonie der bröckeligen, meist völlig fossilleeren Mergel sehr entmutigend wirken. Nicht wenige Helfer*innen, die begeistert bei unseren Grabungen mithalfen, kamen im darauffolgenden Jahr nicht wieder. Man braucht also einen langen Atem, darf sich nicht durch Flauten frustrieren und den buchstäblich steinigen Weg abschrecken lassen. Das ist leichter gesagt als getan: Das Graben mit Hacke und Pickel macht zunächst Spaß, aber nach einigen Stunden schmerzt jeder Muskel und am Abend ist man völlig erschöpft. So waren wir sehr froh, dieses Jahr – unterstützt vom Förderverein des Museums – mit einem großen Team von 20 Personen der Rutschete auf den Leib rücken zu können. Zum ersten Mal in 115 Jahren Grabungsgeschichte kamen auch mehrere Bagger zum Einsatz, die direkt beim Abbau eingesetzt wurden. Erschwinglich wurde das ganze nur, weil einige Mitarbeiter*innen das Steuern der schweren Maschinen rasch erlernten und immer zielgenauer einzusetzen wussten.

Grabung und Funde 2023

Drei Wochen lang konnten wir auf bis zu vier Terrassen die Gesteinsschichten abbauen, und dabei wurden neben neuen Skelettresten vor allem spannende geologische Befunde angetroffen und dokumentiert. Für mich war es ein besonderes Erlebnis, dass Forschende aus bis zu zwölf verschiedenen Ländern mitgruben und ihre Kenntnisse mit einbrachten. Unsere Präparator*innen Isabell Rosin, Lucrezia Ferrari und Andreas Radecker machten die Bergung der Funde durch ihre langjährige technische Erfahrung erst möglich. Manche Skelette waren durch Schlammströme zerlegt und transportiert worden, andere waren in kleine Bruchstücke zerbröselt und kamen nach saisonalen Starkregen in Trockentälern zur Ablagerung. Und natürlich fanden sich auch wieder die gut erhaltenen dreidimensionalen Knochen, welche die Fundstelle berühmt gemacht haben. Nun wurde auch klar, dass manche Tiere in einer Position der Ruhe starben, während andere erst nach einem erfolglosen Kampf gegen den zähen Schlamm an Erschöpfung verendeten. Skelette, die nicht tief genug im Ton eingebettet waren, wurden durch regelmäßige Monsunregen wieder freigespült und allmählich in alle Richtungen verstreut. So boten die neuen Erkenntnisse den Anreiz, das alte Grabungstagebuch von Dr. Seemann zu konsultieren und mit den neuen Befunden zu vergleichen. Dies ist nämlich eine weitere Besonderheit unserer Grabungen: Sie können die detaillierte Fundkarte unserer Vorgänger ergänzen und fortlaufend erweitern, so dass man ein ständig wachsendes dreidimensionales Bild der gigantischen Grabstätte erhält. Als sehr hilfreich erwies sich dabei der Einsatz einer Drohne, die das Gelände und alle neuen Funde exakt vermessen kann.

Rückschlüsse über Vegetation und Klima der Urzeit

Die bereits seit Professor von Huene bekannten, drei mächtigen Fundschichten können nun endlich mit neuesten geologischen Methoden eingehend untersucht werden. Dazu wurden viele Gesteinsproben zur Weiterverarbeitung im Labor entnommen. Die zwölf Meter Knollenmergel enthalten nämlich zahlreiche Lagen von Tonschlamm, der in einem überwiegend trockenen und heißen Klima in feinen Schichten abgesetzt wurde. Doch diese Schlämme unterscheiden sich von Meter zu Meter, und so konnten wir in den fossilreichsten Schichten, in denen über 60 Skelette zutage gekommen waren, Hinweise auf eine feuchte und dicht bewachsene Landschaft finden. Lange fossile Wurzeln zeugen von der Vegetation, und stark durchwalkte Tonschichten belegen häufiges Durchfeuchten und Austrocknen. Erstmals konnten wir dieses Jahr wieder diese tiefste Schicht erreichen und abbauen, die zum letzten Mal 1932 offen gelegen hatte. In den drei Meter mächtigen Schichten darüber, die nur wenige Skelette enthalten, häufen sich Belege für viel trockenere Bedingungen, mit stärkerem Relief, in welchem die seltenen Regenfälle metertiefe Rinnen und Wadis hinterließen. Im Tonboden wuchsen bis 20 cm große Knollen – namensgebend für den Knollenmergel – und diese zeigen uns, dass sehr viel mehr geologische Zeit in den Schichten stecken dürfte, als lange vermutet worden war: Zehntausende Jahre benötigen solche Knollen in entsprechendem Klima, um auf die Größe zu wachsen. Die sieben Meter dicken violetten Schichten darüber wurden in einem wieder feuchteren Klima abgelagert und führen erneut mehr Skelette und fossile Wurzeln, doch müssen hier die Kadaver länger herumgelegen haben, also vermutlich war die jährliche Sedimentfracht geringer.

Rund eine Million Jahre urzeitlicher Heimatgeschichte

Die Trossinger Saurierfundstelle ist damit nicht nur ein riesiges Massengrab, das wir mit immer verfeinerten Methoden zu entschlüsseln versuchen. Das ganze Profil enthält zugleich ein Klimaarchiv, das rund eine Million Jahre urzeitlicher Heimatgeschichte dokumentiert. Es zeugt von einem zeitlich fernen Baden-Württemberg auf einem viel wärmeren Planeten, das von den ersten großen pflanzenfressenden Dinosauriern bevölkert wurde, die man fast auf der ganzen Welt finden kann, weil sie auf dem riesigen Superkontinent ohne größere Barrieren umherwandern konnten.

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