Schneckenparadies Wutachschlucht

25.02.2015 | Dr. Ira Richling

Die Anfrage zu einem Buchkapitel über die Schnecken der Wutachschlucht kam nicht von ungefähr – denn dieses Gebiet ist ein wahres Schneckenparadies!

Die Halden-Haarschnecke (Trochulus graminicola) wurde erst 1973 als neue Art beschrieben (Bild: I. Richling / SMNS).

Eine Anfrage zu einem Buchbeitrag

Als ich im vorletzten Jahr gefragt wurde, einen Buchbeitrag zu den Schnecken der Wutachschlucht zu schreiben, kannte ich diese beeindruckende Landschaft real nur von einem kurzen Spaziergang während einer Pause auf einer langen Autofahrt. Als „Nordlicht“ hat es mich erst vor wenigen Jahren nach Stuttgart verschlagen, sonst hätte ich die bekannte Schlucht sicher schon früher besucht. Denn natürlich war dieser Stopp kein Zufall. Als Schneckenforscherin hatte ich den Fundort „Wutachschlucht“ zuerst auf Etiketten zu einigen besonderen Arten von Landschnecken in der Sammlung des „Haus der Natur – Cismar“ gelesen. In diesem Museum mit Deutschlands größter Muschel- und Schneckenausstellung arbeitete ich viele Jahre ehrenamtlich.

Aber zurück in den Süden: Wie gehofft, konnte ich damals bereits auf den ersten Schritten in die Wutachschlacht seltene Arten beobachten, wie zum Beispiel die Kleine Walddeckelschnecke (Cochlostoma septemspirale). An Motivation, einen Buchbeitrag zu schreiben, mangelte es folglich nicht. Allerdings war klar, dass ich mir dafür aufgrund von engen Terminen keinen ausreichenden Vor-Ort-Eindruck verschaffen konnte. Also musste Hilfe her, wofür ich zum Glück nicht weit schauen musste. Denn auch die Sammlung unter meinen „Fittichen“ profitiert in großartiger Weise von professionellem ehrenamtlichem Engagement. Dr. Wolfgang Rähle, ehemals Hochschullehrer an der Universität Tübingen und jetzt bei uns überaus aktiv, führte jahrzehntelang Exkursionen mit Studierenden in der Wutachschlucht durch – natürlich immer mit einem besonderen Blick auf die Schnecken.

Aufgabe angenommen!

Damit war das Autorenteam aufgestellt und meine Aufgabe vor allem, das Expertenwissen zur Fauna des Gebietes kombiniert mit interessanten Phänomenen aus der Welt der Schnecken in eine von der Redaktion gewünschte Form zu bringen. Die vielleicht etwas überspitzt formulierte Zielvorgabe war, es auch noch „für einen Vierzehnjährigen, der betrunken von der Disko heimkommt“ spannend und verständlich zu schreiben. Nun ja, ob dies gelungen ist, kann ich nicht beurteilen. Da hilft nur selber lesen und erkunden. Zwei Textbeispiele finden Sie unten. Soviel nur hier: Das Autorenteam und die Redakteure hatten viel Spaß bei der Sache, und letztere sehen Schnecken nun mit ganz anderen Augen an!

Neben unserem Schneckenbeitrag bietet das im September 2014 erschienene und reich illustrierte Buch verständliche Informationen zu fast allem, was das Naturschutzgebiet betrifft: Geologie, Hydrologie, Botanik, diverse andere Tiergruppen, Geschichte, Nutzung, Tourismus und Naturschutz. Das ganze Inhaltsverzeichnis des umfangreichen Werks zu einem der letzten Wildflüsse der deutschen Mittelgebirgslandschaft finden Sie hier, nebst einigen weiteren Leseproben.

Die unglaubliche Vielfalt der Schnecken der Wutachschlucht

In der Wutachschlucht und dem angrenzenden Eichberg wurden bisher über einhundert Schneckenarten nachgewiesen. Das sind mehr als zwei Fünftel der in Baden-Württemberg lebenden Arten! In den 1970er Jahren wurde sogar eine für die Wissenschaft neue Art am Eichberg entdeckt: Die Halden-Haarschnecke (Trochulus graminicola).

Neben der bereits erwähnten Kleinen Walddeckelschnecke leben als echte Seltenheiten der Schneckenfauna die Gestrichelte Nadelschnecke (Acicula lineolata), die Glatte Glanzschnecke (Morlina glabra), die Braune Schüsselschnecke (Discus ruderatus), die Geradmund- (Cochlodina orthostoma) und die Graue Schließmundschnecke (Bulgarica cana) im Gebiet.

Während unserer Recherchen entdeckten wir dann noch eine weitere Art der Schlucht quasi vom Schreibtisch aus oder besser gesagt, in der Molluskensammlung des Museums. Bisher waren nur wenige Funde angespülter Leergehäuse einer winzigen Brunnenschneckenart entlang der Gauchach und Wutach bekannt. Aufsammlungen des Biologen Dr. Klaus Dobat von der Universität Tübingen, die inzwischen Teil unserer Sammlung sind, enthielten lebend gesammelte Tiere dieser unterirdisch in Spaltengewässern lebenden Schnecken aus Quellen der Gauchachschlucht. Nach bisherigem Wissensstand sind diese Brunnenschnecken als Sterkis Brunnenschnecke (Bythiospeum sterkianum) zu identifizieren, jedoch laufen bei uns aktuell Forschungen zur Artabgrenzung innerhalb der Gattung.

Ach ja, durchwandert habe ich die Schlucht leider immer noch nicht, aber zumindest einmal waren wir dort, um noch einige besondere Schnecken für den Beitrag zu fotografieren.

Sie vermissen den blauen Himmel? Bei unserer Foto-Exkursion bot die Wutachschlucht im Herbst ideales Schneckenwetter – kühl und feucht (Bild: I. Richling / SMNS).

Literatur

Richling, I. & Rähle, W. (2014): Die Schnecken des Mittleren Wutachtals und des Eichbergs. – In: Regierungspräsidium Freiburg und Schwarzwaldverein (Hrsg.): Die Wutach. Wilde Wasser – steile Schluchten. – 314-333, Ostfildern (Thorbecke).

  1. 314: „Unter Spezialisten – das heißt Malakozoologen oder Weichtierkundlern – ist die Wutachschlucht schon lange ein Geheimtipp, und so wundert es nicht, dass bereits im vorletzten Jahrhundert Schneckensucher durch die Schlucht streiften. Natürlich sammelten sie keine Schnecken zum Essen, wie oft die erste Frage lautet, mit der man konfrontiert wird, wenn man ahnungslosen Spaziergängern seine „Jagd“-Position erklären soll: mit schmutzigen Händen und auf allen Vieren am Boden oder Felssimse hypnotisierend.“
  1. 328: „Ohne Gehäuse – Selbstmord oder doch ein Vorteil?

Während die meisten Arten sozusagen ihre „Festungen“ ausbauen und bei Beschädigung des Gehäuses sterben, wenn keine schnelle Reparatur möglich ist, scheint es fast unverständlich, dass manche Arten freiwillig ganz auf ihr Haus verzichten. Korrekt ausgedrückt heißt es natürlich, dass es in der Evolution mehrfach unabhängig zu einer Reduktion des Gehäuses gekommen ist. […] Im Gebiet gehören erstaunliche 15 % aller nachgewiesenen Arten in diese Gruppen – so unpraktisch oder lebensgefährlich scheint es ohne Schale also nicht zu sein.“

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