Der genomische Fußabdruck des Nipponibis: Niedergang und Comeback

12.11.2020 | Dr. Friederike Woog

Auch in historischen Präparaten können noch wichtige genetische Informationen schlummern, wie der Fall des bedrohten Nipponibis zeigt ...

Nipponibis (Nipponia nippon), Japan, Präparat aus dem Jahr 1882 in der Sammlung des Stuttgarter Naturkundemuseums (Bild: U. Schmid / SMNS).

Sammlungen als Grundlage für genetische Untersuchungen

Bei Führungen durch die Vogelsammlung des Museums betone ich immer wieder, dass unsere über 150 000 Objekte umfassende Sammlung auch für genetische Untersuchungen geeignet ist. Aus einer kleinen Hautprobe können wir im Labor die Erbsubstanz extrahieren.

Gerade bei vom Aussterben bedrohten Arten mit kleinen Restbeständen ist es wichtig zu wissen, ob die Art mit ihrer noch verbleibenden genetischen Ausstattung überhaupt überlebensfähig ist. Dies ist vor allem wichtig für Wiederauswilderungsprojekte. Sind Tiere zu nah miteinander verwandt, kann es zur Inzucht kommen. Die betroffenen Vögel sind dann oft unfruchtbar und brüten vergeblich.

Mögliche Inzuchteffekte lassen sich nur sicher beurteilen, wenn man die genetische Diversität der Vergangenheit kennt, und das geht nur über die Untersuchung historischer Präparate aus wissenschaftlichen Sammlungen, den „Archiven der Biodiversität“. Als ich von Tom Gilbert, Professor für Paläogenomik an der Universität Kopenhagen, die Anfrage bekam, ob wir Proben vom sehr seltenen, vom Aussterben bedrohten Nipponibis (Nipponia nippon) hätten, konnte ich noch nicht ahnen, wohin diese Anfrage führen würde. Nicht alle Anfragen dieser Art erfülle ich, doch diese fand ich sinnvoll. Von der gewünschten Ibisart gab es 2018 laut IUCN nur noch 300 erwachsene Vögel an zwei Orten in der Provinz Shaanxi in China.

Nipponibis (Nipponia nippon), Japan, Präparat aus dem Jahr 1882 in der Sammlung des Stuttgarter Naturkundemuseums (Bild: U. Schmid / SMNS).

Früher weit verbreitet, heute nur noch sehr selten

Die früher wesentlich weiter verbreitete Art ist in Japan, Süd- und Nordkorea, Taiwan und wahrscheinlich auch in Russland bereits ausgestorben. Der Weltbestand mit Tieren in Zuchtprogrammen in Zoos beträgt ungefähr 2000 Individuen. Wiederauswilderungsbemühungen waren zum Teil bereits erfolgreich. Unbekannt war aber, inwieweit die Zuchtprogramme unter genetischen Aspekten sinnvoll waren. Deshalb erfolgten die Anfragen an verschiedene Museen mit großen historischen Sammlungsbeständen, zu denen auch das Stuttgarter Naturkundemuseum gehört. Wir entnahmen vorsichtig Hautproben unserer beiden historischen Exemplare und schickten sie nach Kopenhagen. Insgesamt erhielt das Team um Tom Gilbert auf diese Weise aus acht Museen auf der ganzen Welt (USA, England, Deutschland, Österreich, Niederlande, Dänemark) 57 Proben von Vögeln, die zwischen 1841 und 1922 gesammelt worden waren. Die Stichprobe, die geografisch große Teile von China, Korea, Japan und Russland abdeckt, ist damit umfangreich genug, um statistisch gesicherte Aussagen zu erlauben.

Nipponibis, historische Abbildung von 1838 (Bild: Wikimedia Commons).

Mit genomischen Informationen für den Arterhalt

Statt nur einzelne Genabschnitte historischer Funde aus Museen mit solchen noch in freier Wildbahn lebender Tiere zu vergleichen, wurde jeweils das komplette Genom der seltenen Tierart untersucht. Dabei zeigte sich, dass die genetische Vielfalt heute nur noch halb so groß ist wie im 19. und frühen 20 Jahrhundert. Die heute lebenden Ibisse zeigen starke Inzucht und ihr Genom hat viele schädliche Mutationen – ein deutlicher „Flaschenhalseffekt“: Der Populationsengpass führte durch Zufallsverluste („genetische Drift“) in Verbindung mit dieser Inzucht zu einem massiven Rückgang der ursprünglichen genetischen Vielfalt.

Auch wenn es unter genetischen Aspekten also nicht so gut für den Nipponibis aussieht, könnte er sich dennoch erholen, wenn er weiter streng geschützt wird. Das zeigen manche Arten, die auf Inseln mit starken ökologischen Schwankungen leben: Bei schlechten Bedingungen sterben sie fast aus, können sich dann bei besseren Bedingungen aber wieder erholen – trotz genetischem Engpass. Die Studie ist ein erstes Beispiel dafür, dass genomische Informationen aus Museumsproben eine wichtige Grundlage für die Erhaltung bedrohter Arten sein können.

Literatur

Feng, S., Fang, Q., Barnett, R., Li, C., Han, S., Kuhlwilm, M., Zhou, L., Pan, H., Deng, Y., Chen, G., Gamauf, A., Woog, F., Prys-Jones, R.., Marques-Bonet, T., Gilbert, M.T.P., Zhang, G. 2019. The genomic footprints of the fall and recovery of the crested ibis. Current Biology 21; 29(2): 340-349.

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