Von Tsunamis und Meteoriteneinschlägen

05.11.2019 | PD Dr. Michael Rasser

Umweltkatastrophen hinterlassen Spuren, die auch Jahrmillionen später noch vorhanden sein können: archiviert in Fossilien, Mineralien und Gesteinsschichten. Welches Potenzial haben solche Archive für uns heute?

Tsunami-Ablagerungen mit abgerollten dunklen Basalten vom Strandbereich und grauen Gesteinsfragmenten. Weiß sind die vom Tsunami mitgerissenen marinen Fossilien, zum Beispiel Korallen, Muscheln und Kalkalgen, aus verschiedenen Lebensräumen des Schelfs (Bild: M. Rasser).

Katastrophen-Archive

Nein, hier geht es nicht um chaotische Archive, in denen nichts zu finden ist. Es geht um wohlgeordnete erdwissenschaftliche Sammlungen, in denen Zeugnisse von Katastrophen der Vergangenheit als Grundlagen aktueller und zukünftiger Forschung archiviert sind: Fossilien. Mineralien und Gesteinsproben. Die geologische Überlieferung ist voller solcher Umweltkatastrophen, im Englischen auch Geohazards genannt. Diese können lokal begrenzt sein, wie Überschwemmungen, oder überregionale Auswirkungen haben, wie ein Tsunami. Manche Ereignisse erreichen sogar globale Ausmaße, wie jener Asteroideneinschlag, der die Dinosaurier an der Kreide/Tertiär-Grenze ausgelöscht hat.

Als großes Forschungsmuseum sind wir mit dem Stuttgarter Naturkundemuseum Teil des CETAF-Netzwerks, dem Zusammenschluss großer europäischer Forschungsmuseen. Im CETAF Konsortium ist eine aktive erdwissenschaftliche Gruppe aktiv, an der wir führend beteiligt sind und u.a. mit dem Naturkundemuseum Berlin und dem Frankfurter Senckenberg Forschungsinstitut zusammenarbeiten.

In diesem Rahmen haben wir eine Umfrage unter europäischen Sammlungen gestartet, um zu erfassen, in welchen Museen Sammlungen oder Objekte lagern, die Auskunft über Georisiken und Katastrophen in der Erdgeschichte liefern können. Ziel dieser Umfrage war, Grundlagen für Bildung und Forschung zu liefern und zu zeigen, welche Bedeutung die naturwissenschaftlichen Sammlungen für das Verständnis vergangener und zukünftiger Umweltkatastrophen haben. Die Vergangenheit ist der Schlüssel zur Gegenwart und zur Zukunft: Erst die geologischen Zeiträume erlauben uns, zeitliche Abfolgen von vergangenen Ereignissen zu erfassen. Überrascht hat uns, dass der Umfang, in dem uns erdwissenschaftliche Sammlungen beim Verstehen von Georisiken helfen können, größer ist als erwartet.

Typen von Georisiken und Katastrophen in der Erdgeschichte als Ergebnis einer europaweiten Umfrage (nach Tilley et al., 2019).

Stürme, Tsunamis und Vulkane

Stürme und ihre Auswirkungen können wir jedes Jahr zu Beginn der Hurrikan-Saison im Fernsehen verfolgen. Ihre Zerstörungskraft ist enorm, immer wieder sterben Menschen, und ganze Landstriche werden verwüstet. Im Fossilbericht deuten zum Beispiel außergewöhnliche Zusammenschwemmungen von Muschelschalen und anderen Fossilien, aber auch bestimmte Strukturen in den Sedimenten auf solche Stürme hin. Eine Amplitude größer sind Tsunamis. Jeder erinnert sich wahrscheinlich noch an die Katastrophe von 2004 in Südost-Asien. Marine Katastrophen können für die Umwelt aber noch deutlich größeres Ausmaß haben, etwa jene „Salinitätskrise“, die das Mittelmeer vor 7 bis 5 Millionen Jahren eingedampft hat. Viele Meeresbereiche fielen trocken und es kam zu kontinuierlichen Massensterben über einen Zeitraum von rund 600.000 Jahren. Oder auch die marine Sauerstoffkrise am Ende des Devon-Zeitalters, die durch das Binden von Kohlenstoff und Sauerstoff in Faulschlämmen langfristig zu einem der größten Massenaussterben in der Erdgeschichte führte, bei dem weit mehr als die Hälfte aller Arten ausstarben. Ein für uns schwer vorstellbares Szenario!

Einen deutlich überregionalen Einfluss kann auch Vulkanismus haben. Dieser führt nicht nur durch heiße Lava und Asche zu großen regionalen Katastrophen – man denke nur an Pompeji –, sondern kann längerfristig auch zu einem globalen Klimawechsel führen. Beim Aussterben der Dinosaurier dürfte Vulkanismus neben einem Asteroideneinschlag eine wichtige Rolle gespielt haben.

„Last but not least“ dürfen wir natürlich den Klimawechsel als globales Georisiko nicht vergessen, der auch aktuell „heiß“ diskutiert wird. In erdgeschichtlichen Zeiträumen führte er oft zu Massenaussterben, wenn eine Kombination verschiedener geologischer Katastrophen zusammenwirkte, zum Beispiel Vulkanismus, Impakte und Sauerstoffkrisen.

Die zitierte Umfrage zeigt viele Beispiele, wie „Academia“ – also die Grundlagenforschung – und gesellschaftlich relevante Georisikenforschung Hand in Hand gehen. Aus unserer aktiven Forschung am Museum möchte ich das im Folgenden an zwei recht unterschiedlichen Beispielen veranschaulichen.

Beispiel I: Nördlinger Ries – eine überregionale Katastrophe

Vor rund 15 Millionen Jahren verwüstete nach der gängigen Theorie ein doppelter Meteoriteneinschlag weite Teile von dem, was heute Süddeutschland ist, und sprengte zwei Krater in die Landschaft: das Nördlinger Ries und das Steinheimer Becken auf der heutigen Schwäbischen Alb. Erst kürzlich haben wir in letzterem einen Meteoritensplitter gefunden. Auch wenn wir diesen Meteoriten noch nicht endgültig datieren können, handelt es sich dabei um einen wirklich spektakulärer Fund! Besonders verheerend war der größere der beiden Impakts, der das heutige Ries erzeugte. Dieser Einschlag drang tief ins Grundgebirge ein und führte zu einer Explosion, deren Auswürflinge man heute noch bis zu 450 km entfernt finden kann. In Sedimenten von ganz Baden-Württemberg ist dieses Event durch so genannte Brockhorizonte erkennbar. Es gab großflächige Waldbrände und Verwüstungen, viele Tiere und Pflanzen starben, aber die Auswirkung reichte nicht für das vollständige Aussterben von Arten. Wie unsere Recherchen ergaben, wurde das verwüstete Gebiet recht schnell wieder von den Rändern her besiedelt.

Das Nördlinger Ries ist somit ein gutes Beispiel, wie man aufgrund von geologischen und paläontologischen Befunden die Auswirkungen einer Geokatastrophe beurteilen kann. Aber der Impakt führte noch zu einer weiteren paläontologischen Besonderheit von weltweiter Relevanz. Das kleinere Steinheimer Becken bildete nämlich einen so genannten Langzeitsee, der über mehrere Millionen Jahre hinweg Bestand hatte und in dem die Evolution wundersame Gehäuseformen von Schnecken hervorbrachte, die ich bereits in einem früheren Science Blog Artikel vorgestellt habe.

Beispiel II: Tsunamis auf den Kapverden

Das zweite Beispiel aus unserer aktuellen Forschung ist die Auswirkung von Tsunamis. Dabei handelt es sich um Flutwellen mit besonders langen Wellenlängen (bis 500km) und außergewöhnlicher Zerstörungskraft. Meistens sind sie Folgeerscheinungen von Erdbeben, die den Wasserkörper aufschaukeln. Aber auch untermeerische Rutschungen können die Ursache sein. Beispiele dafür bearbeite ich mit portugiesischen Kollegen auf den kapverdischen Inseln. Dort kam es in den letzten Jahrtausenden immer wieder zu Tsunamis durch Ausbrüche des Vulkans Fogo. Dabei wurden zum Beispiel Basaltblöcke von der Größe eines Kleinbusses mehrere Zehnermeter über dem Meeresspiegel auf die Insel und mehrere Kilometer landeinwärts transportiert. Diese Gefahr ist aktueller denn je, denn der Vulkan Fogo ist noch immer aktiv und den letzten verheerenden Ausbruch – zum Glück ohne Tsunami – gab es im Jahr 2014. Unsere Aufgabe als Paläontologen ist es, aufgrund der Fossilien, die in den Tsunamisedimenten vorkommen, zu rekonstruieren, welche marinen Lebensräume die Tsunamis zerstört haben. In Kombination mit den kooperierenden Geologen und Geomorphologen wird es dann möglich sein, die Auswirkungen von Tsunamis, wie sie die Inseln in naher Zukunft durchaus treffen könnten, auf einzelne Schelfbereiche vorherzusagen.

Tsunami-Ablagerungen mit abgerollten dunklen Basalten vom Strandbereich und grauen Gesteinsfragmenten. Weiß sind die vom Tsunami mitgerissenen marinen Fossilien, zum Beispiel Korallen, Muscheln und Kalkalgen, aus verschiedenen Lebensräumen des Schelfs (Bild: M. Rasser).

Literatur

Tilley L, Berning B, Erdei B, Fassoulas C, Kroh A, Kvaček J, Mergen P, Michellier C, Miller C, Rasser M, Schmitt R, Kovar-Eder J (2019): Hazards and disasters in the geological and geomorphological record: a key to understanding past and future hazards and disasters. Research Ideas and Outcomes 5: e34087. DOI: 10.3897/rio.5.e34087

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