Pilotstudie Mooswand

05.09.2017 | Sonja Thielen

Feinstaub ist ein großes Problem in vielen Innenstädten. Was kann Moos dagegen tun? Moose sind zwar klein, können aber durch ihre große Oberfläche über verschiedene Mechanismen Feinstaub binden. Diese Tatsache führte uns zu unserer Pilotstudie einer Mooswand in Stuttgart ...

Nahaufnahme von der Mooswand. P = Frauenhaarmoos, R = Graues Zackenmützenmoos, H = Zypressenschlafmoos (Bild: S. Thielen / SMNS).

Moose gegen dicke Luft?

Nicht nur die Stadt Stuttgart hat das Problem: Die Luft in vielen Innenstädten Deutschlands ist mit Feinstaub belastet. Unter Feinstaub versteht man ein komplexes Gemisch fester und flüssiger Partikel, die nach ihrer Größe in unterschiedliche Fraktionen eingeteilt werden. Unterschieden werden PM10 (PM = particulate matter = Feinstaub) mit einem maximalen Durchmesser von 10 µm, PM2.5 mit einem maximalen Durchmesser von 2,5 µm und ultrafeine Partikel, die kleiner als 0,1 µm sind. Feinstaub entsteht hauptsächlich durch uns Menschen, z. B. durch Brems- und Reifenabrieb, Aufwirbelung des Staubs von der Straßenoberfläche, Abgase der Automotoren, bei der Wärmeerzeugung in Holzöfen oder in der Landwirtschaft. Das Problem ist, dass die kleinen Partikel eine große Wirkung haben: Über die Lunge gelangen sie in unsere Körper und können Atemwegsprobleme und Erkrankungen des Herz-Kreislaufsystems auslösen. Ultrafeine Partikel können sogar in unser Blut und damit in alle Organe gelangen.

Seit dem 1.1.2005 gelten europaweit Grenzwerte für die Feinstaubfraktion PM10. Der Tagesgrenzwert liegt bei 50 Mikrogramm pro Kubikmeter Luft und darf an höchstens 35 Tagen pro Jahr überschritten werden. In Stuttgart geschieht dies öfter als erlaubt: Im Jahr 2016 wurde der Grenzwert an der Messstelle Am Neckartor an 63 Tagen überschritten. Der von der WHO empfohlene Grenzwert liegt sogar noch niedriger, er beträgt weniger als die Hälfte des EU-Werts. Denn das Problem ist: Selbst sehr geringe Feinstaubkonzentrationen können sich negativ auf unsere Gesundheit auswirken.

Warum Moose? Vom Labor …

Laboruntersuchungen von Moosforschern der Universität Bonn zeigten, dass Moose durch verschiedene Mechanismen Feinstaub binden können (Frahm & Sabovljevic 2007). So sind Moose zwar klein, haben aber durch ihre dicht stehenden Blättchen und oberflächenvergrößernden Strukturen eine extrem große biologisch aktive Oberfläche.
Im Gegensatz zu Blütenpflanzen haben Moose keine Wurzeln. Wasser und Nährstoffe nehmen sie direkt über die Blattoberfläche auf. Deshalb haben sie – anders als Blütenpflanzen – eine sehr viel dünnere wasserabstoßende Wachsschicht auf den Blättern, oder sie fehlt sogar ganz. Kommen Feinstaubpartikel in Kontakt mit den Moosen, bleiben sie an den Blättchen hängen. Ein großer Anteil des Feinstaubs aus Verkehr sind Ammoniumsalze, z. B. das Ammoniumnitrat (NH4NO3) (Pregger & Friedrich 2004). Moose brauchen – wie alle anderen Pflanzen auch – Nährstoffe zum Wachsen, etwa den Stickstoff aus dem Ammoniumnitrat. Dieser wird durch Kationenaustausch von den Moosen aufgenommen und in pflanzliche Biomasse umgewandelt. Zudem können Bakterien, die auf den Moosen leben, organische Substanzen aus Ruß und Reifenabrieb zersetzen. Weitere Bestandteile aus unlöslichen, anorganischen Stäuben sedimentieren in den Moosrasen.
Eine weitere Besonderheit der Moose ist, dass sie wechselfeucht (poikilohydrisch) sind. Wenn sie austrocknen, fallen sie in eine Art scheintoten Zustand, der aber schlagartig vorbei ist, wenn sie wieder befeuchtet werden. Dadurch können sie trockene Phasen unbeschadet überstehen und Lebensräume besiedeln, die für andere Pflanzen unbewohnbar sind.

… ins Freiland

Ob die feinstaubreduzierende Wirkung der Moose, die die Bonner Forscher im Labor nachgewiesen haben, auch unter Freilandbedingungen gemessen werden kann, testen wir dieses Jahr in Stuttgart. Seit März 2017 untersuche ich mit meinen Projektpartnern vom Amt für Umweltschutz der Stadt Stuttgart und der Universität Stuttgart in einer Pilotstudie, ob Moose dazu beitragen können, die Feinstaubbelastung in Innenstädten zu senken. Dazu wurde an der sechsspurigen B14 in Stuttgart eine 100 Meter lange, 3 Meter hohe Mooswand aufgestellt.

Die Wand wurde mit fünf verschiedenen Moosarten bepflanzt: Man findet dort das Graue Zackenmützenmoos (Racomitrium canescens), das Zypressenschlafmoos (Hypnum cupressiforme), das Wacholder-Frauenhaarmoos (Polytrichum juniperinum), das Glashaar-Frauenhaarmoos (Polytrichum piliferum) und das Kaktusmoos (Campylopus introflexus). Da die Kultivierung von Moosen im Rahmen dieser Pilotstudie nicht möglich war, wurden im Handel erhältliche Moosmatten verwendet. Unter den etwa 800 heimischen Moosarten sind bislang nur sehr wenige Arten erhältlich. Den nun auf der Wand wachsenden Arten ist gemeinsam, dass sie natürlicherweise u. a. an lichtreichen, trockenen Standorten vorkommen.

Während meine Projektpartner vom Institut für Tragkonstruktionen und Konstruktives Entwerfen (Universität Stuttgart) für die Konstruktion der Mooswand und vom Institut für Feuerungs- und Kraftwerkstechnik (Universität Stuttgart) für die Feinstaubmessungen zuständig sind, untersuche ich die Moose. Dabei interessieren mich folgende Fragen: Wie geht es dem Moos im extremen Stadtklima? Gibt es Arten, die an einem solchen Standort (senkrechte Wand, viel Sonne, viel Wind) besser wachsen als andere? Wie sehen die Blattoberflächen der verschiedenen Arten aus? Unterscheiden sie sich? Welche Partikel findet man auf den Moosblättern?

Einmal in der Woche bin ich an der Mooswand und schaue mir den Zustand der Moose an. Außerdem nehme ich Proben der Moose mit ins Museum und untersuche sie dort unter dem Mikroskop. Man kann so zum Beispiel feststellen, wie viele Chloroplasten in den Zellen vorliegen, oder ob es abgestorbene Zellen (sogenannte Nekrosen) gibt. Daraus kann ich Rückschlüsse darauf ziehen, wie es dem Moos geht.

Noch spannender ist die Untersuchung der Blättchen mit dem Rasterelektronenmikroskop (REM). Durch die starke Vergrößerung kann man Partikel bis zu einer Größe von 0,1 Mikrometer gut erkennen. (Zur Erfassung ultrafeiner Partikel <0 ,1 µ ist ein höher auflösendes REM sowie eine andere Art der Probenaufbereitung nötig.) Mithilfe des REMs sieht man auch, wie unterschiedlich die Oberflächen der verschiedenen Moose sind.

Das Graue Zackenmützenmoos hat viele kleine Zäpfchen auf ihrer Oberfläche, die man Papillen nennt. Zwischen den Papillen verstecken sich viele Partikel. Das Zypressenschlafmoos hingegen hat eine glatte Oberfläche, auf der man die Partikel sehr viel schneller entdeckt. Bislang habe ich bei den Untersuchungen der Blattoberflächen verschiedenste Partikel beobachtet, die ganz unterschiedlich aussehen. Es gibt sie in vielen Größen und Formen: Rund, kantig, glatt, porös, dreieckig, quadratisch, flach, scharfkantig…

Während unserer Untersuchungen konnten wir schon feststellen, dass die Frauenhaarmoose und das Kaktusmoos im Vergleich zu den anderen Moosarten auf der Mooswand dickere Wachsschichten auf ihrer Blattoberfläche haben. Auf Blättern mit einer dickeren Wachsschicht haben wir auch weniger Partikel gefunden. Die Oberfläche der Moosblätter scheint also einen Einfluss auf die Partikelablagerung zu haben.

Vor allem auf älteren Moosblättchen findet man auch andere Lebewesen, z. B. Bakterien, Pilze oder Amöben. Amöben sind eine weitverbreitete, ökologisch wichtige Gruppe von Einzellern. Sie kommen in den Wasserhäutchen um die Stämmchen und in den Achseln der Blättchen von Moosen vor (Netzel 1971). Durch die Fähigkeit, Überdauerungsformen (Zysten) zu bilden, sind sie gut an vorübergehende unwirtliche Bedingungen angepasst. Sie spielen eine wichtige Rolle beim Abbau organischer Stoffe und ernähren sich u.a. von Bakterien, Hefen und einzelligen Algen (Krashevs’ka 2008).

Herausforderungen der Mooswand

Die größte Herausforderung für die Entwicklung eines wirksamen Feinstaubfilters sind die Moose selbst: Nur wenn sie in dem extremen Stadtklima gut leben und wachsen, können sie für bessere Luft sorgen. Allerdings stellt der Standort der Mooswand für die Moose eine echte Herausforderung dar. An der senkrecht stehenden Wand kommt nicht viel Wasser von Niederschlägen an, die Sonneneinstrahlung ist stark, und der vorbeifließende Verkehr verursacht Windströmungen, die die Verdunstung fördern. Daher haben die Moose einen Sonnenschutz und werden morgens und abends automatisch bewässert. Die Bewässerung darf nicht zu viel (Förderung von Algen- und Pilzwachstum), aber auch nicht zu wenig Wasser liefern.

Fährt man in Trockenperioden an der Mooswand vorbei, ist sie nicht frisch grün, sondern braun gefärbt. Das Moos ist aber keineswegs abgestorben. Vor allem die beiden Frauenhaarmoosarten legen ihre Blättchen an das Stämmchen an, wenn es trocken wird. Dabei liegen die älteren Blättchen, die weiter unten am Stämmchen sitzen, über den oberen Blättchen. Da die Blättchen in ihrem Alterungsverlauf braun werden, verdecken die alten braunen Blätter nun die jungen grünen. In heißen Sommertagen verdunstet das Wasser an der Mooswand sehr schnell, sodass die Moose schnell trocken werden und ihre Blättchen anlegen.

Bislang gibt es kaum Erfahrungswerte über die Kultivierung von Moosen an Wänden. Daher gehört es auch zur Pilotstudie, Erfahrungen mit den herrschenden Bedingungen an der Mooswand zu sammeln und die Bedingungen im Lauf des Projekts bestmöglich an die Bedürfnisse der Moose anpassen.

Bis wir sagen können, wie die Moose auf die Feinstaubbelastung wirken, müssen wir noch weitere Daten sammeln. Spannend wird es vor allem wieder in der kommenden Feinstaubsaison, die im Oktober beginnen wird.

Literatur

  • Frahm, J.-P. & Sabovljevic, M. (2007): Feinstaubreduzierung durch Moose. Immissionsschutz 4/07: 152-156.
  • Krashevs’ka, V. (2008): Diversity and community structure of testate amoeba (protista) in tropical montane rain forests of southern Ecuador: Altitudinal Gradient, aboveground habitats and nutrient limitation. Dissertation. Technische Universität Darmstadt. 
  • Netzel, H. (1971): Form und Bewegung beschalter Amöben (Testacea). Institut für den wissenschaftlichen Film, Wissenschaftlicher Film C 1060/1971. Begleitveröffentlichung. Göttingen 1971.
  • Pregger, T. & Friedrich, R. (2004): Untersuchung der Feinstaubemissionen und Minderungspotenziale am Beispiel Baden-Württemberg. Gefahrstoffe/Reinhaltung der Luft 64(1/2): 53-60.

Weitere Informationen zu Feinstaub: https://www.umweltbundesamt.de/themen/luft/luftschadstoffe/feinstaub

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