Kurator für Botanik (fast) ohne Pflanzen – was es damit auf sich hat
Wenn ich beschreiben soll, für welche Organismengruppen ich in meinem neuen Job zuständig bin, dann klappt das am besten im Ausschlussverfahren: „fast alles was nicht blüht und trotzdem kein Tier ist“ trifft es ganz gut.
Im August 2017 bin ich nach neun Jahren am Natural History Museum in London zurück nach Deutschland gekommen. Als Kurator bin ich nun hier in Stuttgart verantwortlich für den Erhalt, die Entwicklung und eine möglichst optimale Nutzung eines rund 400 000 Objekte umfassenden Teils der Botanischen Sammlung. Dieser Teil umfasst von den Cyanobakterien, Schleimpilzen und verschiedensten Algengruppen bis hin zu den „echten“ Pilzen und den Moosen fast alles, was Botaniker historisch als Kryptogamen (den versteckt Blühenden) bezeichnet haben. In Wahrheit „blühen“ diese Organismen aber überhaupt nicht und bis auf die Moose handelt es sich auch nicht um Pflanzen. Genetisch sind Pilze und auch viele Algen von den Pflanzen ebenso weit entfernt wie eine Kuh von einer Rose.
Meine eigene Forschung konzentriert sich auf die ökologische Gruppe der Flechten. Wer sich mit Flechten beschäftigt, arbeitet automatisch mit einem Gemisch aus Pilzen, Algen und oft noch weiteren Organismen. Bei den Flechten repräsentiert jeder Einzel-„Körper“ nicht nur einen einzigen Organismus, sondern ein ganzes Mini-Ökosystem, denn jede Flechte bestehend aus einem oder mehreren Flechten bildenden Pilz(en), einem Fotosynthese betreibenden Partner (entweder eine Alge oder ein Cyanobakterium – manchmal auch beide!) und einer Vielzahl weiterer überwiegend mikrobieller Komponenten, deren Rolle(n) in der Symbiose wir gerade erst anfangen zu verstehen.
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