Weniger ist mehr: Was haben Geld und Nährstoffe gemeinsam?

08.12.2014 | Dr. Martin Nebel

Als ich 2003 zum ersten Mal in Ecuador einen tropischen Regenwald betrat, war ich erschlagen von der Vielfalt. Allein 150 verschiedene Baumarten wachsen hier auf einem Hektar!

Im Querschnitt durch ein Lebermoos sehen wir die blau angefärbten Pilzfäden dicht an dicht in den lebenden Zellen (Bild: M. Preußing).

Erschlagende Vielfalt!

Diesen Wald verstehst du nie, habe ich mir gesagt. So viele Arten in unmittelbarer Nachbarschaft, wie kann so etwas sein, ohne dass sich diese gegenseitig verdrängen. Nach dem ersten Schreck habe ich dann begonnen, mir einen kleinen Ausschnitt der Artenvielfalt genauer anzusehen: die Symbiose zwischen Lebermoosen und Pilzen.

Das Projekt war Teil einer von der Deutschen Forschungsgemeinschaft geförderten Forschergruppe („Functionality in a Tropical Mountain Rainforest: Diversity, Dynamic Processes and Utilization Potentials under Ecosystem Perspectives“, FOR 402), in der zahlreiche Wissenschaftler untersucht haben, wie der Wald wächst, wieviel Regen wann fällt, wo die Nährstoffe herkommen und wie sie verteilt sind, wie der Boden aussieht, welche Pflanzen und Tiere dort leben und vieles mehr.

Ein 1000 Hektar großes Gebiet wurde aus ganz unterschiedlichen Perspektiven genau unter die Lupe genommen. Dabei fielen auch einige Weltrekorde: die meisten Moosarten, die höchste Zahl von Nachtschmetterlingen, das Moos mit der größten Wasserspeicherung.

Forscher umgeben von BäumenForscher umgeben von Bäumen
Bis zu 50 Moosarten haben wir allein an den Bäumen (bis 2 m Höhe) auf den 400 Quadratmeter großen Testflächen gefunden (Bild: M. Lehnert).

Nährstoffe – Schlüssel zum System

Das interessanteste Ergebnis für mich betraf die Nährstoffe. Der Regen brachte wenig, im Boden war fast nichts, aus dem Wald kam praktisch destilliertes Wasser. Für mich ein großes Rätsel, kaum Nährstoffe und trotzdem die Vielfalt oder gerade deshalb?

Szenenwechsel: Auf einer stundenlangen Fahrt durch die engen Wasserwege im Mangroven-Gürtel an der Westküste Ecuadors zähle ich nur fünf Baumarten. Aus jedem Schlammloch starren mich Krabben an, tausende, Millionen, aber immer nur dieselbe Art. Dabei gibt es hier Nährstoffe im Überfluss, die Flüsse und Meer ablagern.

Zurück in die Heimat. Wenn ich im Juni auf der Schwäbischen Alb wandere, freue ich mich über bunt blühende Wiesen, die ausgerechnet an den magersten (also nährstoffärmsten) Stellen stehen. Blüten mit den unterschiedlichsten Formen und Farben, umschwirrt von Schmetterlingen, Bienen, Fliegen und Käfern in großer Zahl und Vielfalt. Daneben eine Wiese, die kräftig gedüngt wurde. Hohe Gräser beherrschen das Bild, kaum Blüten, fast keine Insekten.

Auch hier das Ergebnis: wenig Nährstoff, hohe Vielfalt und umgekehrt.

Das Nährstoff-Paradoxon

Dahinter steckt ein Gesetz: Nährstoffe fördern Arten, die schnell und stark wachsen (das bringt mehr Ertrag, deshalb düngen wir auch Wiesen und Felder), die schwächeren bleiben auf der Strecke. Umgekehrt wachsen bei Nährstoffmangel alle Arten langsam, das heißt, es ist Platz für alle. Damit war ein Teil des Rätsels gelöst.

Bleibt noch die Frage, woher die lebensnotwendigen Nährstoffe kommen.

Hier hilft uns wieder meine Symbiose vom Anfang. Pilze sammeln mit ihrem Hyphengeflecht Mineralstoffe und liefern sie an Pflanzen, dafür bekommen sie Zucker aus der Fotosynthese, den sie zum Wachsen brauchen. Moose sammeln und speichern das lebensnotwendige Wasser, Pilze durchdringen sowohl die Wurzeln der Bäume als auch den Boden: Die Pilzfäden in einem Kubikmeter Boden reichen einmal um die Erde (40 000 km)! Dieses enge Geflecht hält die Nährstoffe im System und sorgt für die richtige Verteilung. Weder im Regenwald noch auf der Magerwiese gibt es einen Organismus, der für sich alleine lebt.

Querschnitt durch ein LebermoosQuerschnitt durch ein Lebermoos
Im Querschnitt durch ein Lebermoos sehen wir die blau angefärbten Pilzfäden dicht an dicht in den lebenden Zellen (Bild: M. Preußing).

Das ist reine Ökologie – aber hat es steckt auch eine ganze Menge Ökonomie dahinter

Die Erkenntnisse aus dem Vergleich zwischen nährstoffarmen und nährstoffreichen Ökosystemen lassen sich nämlich auch auf Wirtschaftssysteme übertragen. Ein paar Gedanken hierzu: Wenn ich Geld in ein Unternehmen stecke, kann ich neue Maschinen anschaffen, mehr Leute anstellen und damit mehr Waren herstellen. Geld wirkt in unserer Wirtschaft also ganz ähnlich wie Nährstoffe in der Natur, es beschleunigt das Wachstum.

Die Wirkungen von Nährstoffen und Geld

 NährstoffeGeld
Umsatz Beschleunigung++
Lebensnotwendig+(+)
Erhöhung Produktivität++
Verstärkung Konkurrenz++
Systemsteuerung++
Systemstabilisierung--
Vernetzung--
Vielfalt/Kreativität--

 

Wenn die Politik die Wirtschaft ankurbeln will, setzt sie direkt oder indirekt (über Steuererleichterungen) Geld ein, um die Prozesse anzustoßen. Umgekehrt werden höhere Abgaben und Kürzungen von Subventionen genutzt, um bestimmte Entwicklungen zu bremsen. Zur Stabilisierung von Wirtschaftsystemen eignet sich Geld dagegen nur sehr beschränkt, wie nicht zuletzt die Bankenkrise zeigt.

Geld fördert durchsetzungskräftige Menschen und Firmen. Je mehr Geld vorhanden ist, desto größer wird die Konkurrenz um diese Ressource. Geld als Anreiz zur Leistungssteigerung fördert die interne Konkurrenz. Um sich einen Vorteil gegenüber den Kollegen zu verschaffen, ist die Versuchung groß, Informationen nur für den eigenen Vorteil zu nutzen. Konkurrenz im Betrieb oder in der Arbeitsgruppe führt zu Misstrauen und stört den Ablauf.

Was ich vom Regenwald gelernt habe: Wir brauchen mehr Zusammenarbeit, um die Leistungsfähigkeit unserer Organisationen zu verbessern.

Im Regenwald sind die Unterschiede zwischen den Arten oft sehr gering, aber jede kann etwas Besonderes. Durch diese Fähigkeit bereichert sie das System.

Genau dies ist auch wichtig zur Weiterentwicklung unserer Organisationen. Wir sollten uns nicht bekämpfen, sondern vertrauensvoll zusammenarbeiten. Dabei muss jeder etwas einbringen, womit er den anderen helfen kann.

Cartoon über ZusammenarbeitCartoon über Zusammenarbeit
Zusammenarbeit macht vieles leichter und manches erst möglich.

Literatur

  • Nebel, M. (2014): Führungslos – wer steuert das System? In: Bammé, A. (Hrsg.): Unlösbare Probleme. Warum Gesellschaften kollabieren. Profil 2014; München und Wien.
  • Götz, K., Nebel, M. (2012): Kooperationen in der Natur. e&l (5): 16-20.
  • Krause, C., Garnica, S., Bauer, R., Nebel, M. (2011). Aneuraceae (Metzgeriales) and tulasnelloid fungi (Basidiomycota) – a model for early steps in fungal symbiosis. Fungal biology 115: 839-851.
  • Nebel, M. (2009). Symbiose. In Schmid, U., Bechly, G. (Hrsg.): Evolution – Der Fluss des Lebens. Stuttgarter Beiträge zur Naturkunde, Serie C, Band 66/67: 89-99.
  • Preussing, M., Olsson S., Schäfer-Verwimp A., Wickett N.J., Wicke S., Quandt D., Nebel M. (2010): New insights in the evolution of the liverwort family Aneuraceae (Metzgeriales, Marchantiophyta) with an emphasis on the genus Lobatiriccardia. Taxon 59(5):1424-1440.

Kommentare (0)

Keine Kommentare

Kommentar schreiben