Alt oder jung – eine Frage der inneren oder äußeren Werte?

02.10.2015 | PD Dr. Mike Thiv

Oft genügt ein Blick, um festzustellen, ob jemand jung oder alt ist. Ein Baby sieht anders aus als ein Erwachsener, ein junger Elefant anders als eine alte Leitkuh, ein Keimling anders als eine alte Eiche. Aber gibt es auch „junge“ und „alte“ Ökosysteme? Und, wenn ja, wie lassen sie sich erkennen und unterscheiden? Dieser Frage bin ich mit meiner Arbeitsgruppe am Beispiel des Kanarischen Lorbeerwaldes nachgegangen.

Lorbeerartiges Blatt von Ocotea foetens (Bild: M. Thiv / SMNS).

Eine Studie zum Kanarischen Lorbeerwald

Zum ersten Mal wurde ich mit dem Kanarischen Lorbeerwald im Studium konfrontiert. Dort lernte man, dass es sich dabei um eine Reliktvegetation aus dem Tertiär handelt. Das heißt, es sind Überbleibsel von Bäumen, Sträuchern und Kräutern, die vor 2,6 bis 66 Millionen Jahren gelebt haben.

Wie kam man zu dieser Annahme? Um das zu verstehen, muss etwas weiter ausgeholt werden. Eigentlich muss der Kanarische Lorbeerwald „Makaronesischer Lorbeerwald“ genannt werden, da er – in unterschiedlichen Arten-Zusammensetzungen – auf den Kanaren, Azoren und Madeira zu finden ist. Diese im Atlantik liegenden Archipele vulkanischer Herkunft bilden zusammen Makaronesien. Lorbeerwälder bestehen vor allem aus Bäumen, die lorbeerartige Blätter – also immergrüne, ganzrandige, relativ dicke, dunkle Blätter – tragen. Auf Madeira wurden im 19. Jahrhundert Pflanzenfossilien ausgegraben, die (1) den heutigen Vertretern des Lorbeerwaldes ähnlich sehen und (2) auf ein Alter von etwa zwei Millionen Jahren geschätzt wurden. Auch Blatt-Fossilien, die quer durch Europa gefunden wurden und bis ins Eozän (56,0–33,9 Millionen Jahren) zurück reichen, sehen aus wie die Blätter vieler moderner Lorbeerwaldbäume.

Alte Bekannte

Bereits vor über 15 Jahren konnte ich mich dann richtig wissenschaftlich mit den Makaronesischen Lorbeerwälder befassen. In meiner Doktorarbeit hatte ich herausgefunden, dass der nächste Verwandte des Kanaren-(Lorbeerwald)-Enzians (Ixanthus viscosus) aus der Familie der Enziangewächse der Bitterling (Blackstonia) aus dem Mittelmeerraum ist. Ob es sich wirklich um ein Relikt handelte, konnte damals (auch aufgrund fehlender, spezieller Analysemethoden) nicht definitiv beantwortet werden, obwohl einiges dagegen sprach.

Vor einigen Jahren hatte ich dann die Gelegenheit, an einem Projekt der Universität Heidelberg zur Auswirkung von globalen Veränderungen auf wirtschaftliche, physikalisch-chemische und biologische Systeme mitzuarbeiten. Konkret ging es um den anthropogenen Einfluss auf – genau: Kanarische Lorbeerwälder. Neben dieser Problematik beschäftigte mich die Frage, ob diese Wälder wirklich Relikte sind. Da sich inzwischen einige Verfahren etabliert haben, mit denen man auf das Entstehungsalter von Arten schließen kann, lag es nahe, die Tertiär-Relikt-Hypothese an mehreren Lorbeerwald-Arten zu testen.

Mit neuem Ansatz frisch ans Werk

Dazu wählten wir – vier Wissenschaftlerinnen des Museums, mein Kooperationspartner aus Heidelberg, viele internationale Kollegen und ich – einen neuen Ansatz: Mit Hilfe der Unterschiede in der DNA von verschiedenen Organismen und geeigneten Kalibrierungspunkten kann man das Alter einer evolutiven Aufspaltung berechnen. Dies haben wir für 18 typische Lorbeerwald-Arten getan. Das Ergebnis: Die ältesten Sippen gehen wahrscheinlich auf das Obermiozän (11,6 – 5,3 Millionen Jahren) zurück. Vier der 18 Sippen fallen in diese Kategorie. Die meisten, nämlich 14 Arten, sind aber jünger und erst im Pliozän und Pleistozän (5,3 – 0,01 Millionen Jahren) entstanden. Damit sind viele Linien jünger als die tertiären, europäischen Lorbeerwälder. Die Tertiär-Relikt-Hypothese scheint daher für größere Teile des Makaronesischen Lorbeerwaldes nicht zu gelten. Stattdessen legen unsere Ergebnisse nahe, dass es entweder einen starken Austausch der Arten im Laufe der Zeit gab oder dass dieser Wald erst im Pliozän und Pleistozän neu entstanden ist.

Die Veröffentlichung dazu ist aktuell erschienen (Kondraskov et al. 2015).Wir freuen uns, dass wir damit eine lange tradierte Lehrbuchmeinung modifizieren konnten und haben schon viele positive Rückmeldungen dazu erhalten. In unserem Fall haben letztlich die inneren Werte (nämlich die DNA-Unterschiede) entschieden, dass das System der Kanarischen Lorbeerwälder relativ jung ist.

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