Ein Jahr am Goldersbach

03.02.2014 | Dr. Arnold Staniczek

Gemeinhin stellt man sich Wissenschaftler als weltfremde, vergeistigte Gesellen vor, die auch nach Feierabend nicht abschalten können, sondern sich Tag und Nacht zwanghaft mit ihren Studien beschäftigen müssen. Dieses gängige Klischee kann ich zumindest in meinem Fall zu einhundert Prozent bestätigen.

Eine typische Eintagsfliege des Goldersbaches: Die Maifliege Ephemera danica (Bild: SMNS / A. Staniczek).

Waldspaziergänge und seltene Steinfliegen

Zu Ostern überredete mich meine Frau zu einem Waldspaziergang. Sie wollte mit mir im Schönbuch bei Tübingen entlang des Goldersbaches wandern und hatte dabei wahrscheinlich geplant, mit tiefsinnigen Gesprächen über Gott, Ikea und die Welt unsere Beziehung zu pflegen. Dabei ließ sie das Wort „Goldersbach“ sicherlich nicht zufällig fallen. Sie weiß, dass ich als aquatischer Entomologe leichter zu ködern bin, wenn sie ein schönes Gewässer als Ausflugsziel vorgibt.

Ich konnte der Versuchung nicht widerstehen: Am Goldersbach angekommen, wollte ich („nur ganz kurz!“) ein paar Wintersteinfliegen, die um diese Jahreszeit noch zu erwarten waren, aufstöbern und fotografieren. Bereits unter dem zweiten Stein, den ich am Bachrand umdrehte, saß eine Steinfliege, die ich noch nie zuvor in meinem Leben gesehen hatte. Mein Pulsschlag stieg („Schnucki, ich habe hier eine sehr seltsame Steinfliege, gebändert wie Brachyptera, hat aber flache Flügel, sieht aber auch nicht wie Taeniopteryx aus!“) und der Pulsschlag meiner Frau stieg ebenfalls („oh nein, es ist immer dasselbe mit Dir, nicht mal Karfreitag ist Dir heilig!“). Der Spaziergang zu zweit war gelaufen, doch ich kehrte mit dem Erstnachweis der Steinfliege Rhabdiopteryx acuminata für Baden-Württemberg nach Hause zurück. Für Deutschland war diese Art bisher lediglich 1968 und 2011 zweimal aus Bayern gemeldet worden.

Die Steinfliege Rhabdiopteryx acuminata ist eine Rarität in Deutschland (Bild: SMNS / A. Staniczek)

Langzeit-Untersuchung eines einheimischen Fließgewässers

Dieser hoch interessante Fund war der letzte zündende Funke für eine schon lange geplante Langzeituntersuchung, die im September 2013 begann und mein Team nun ein Jahr lang jeden Monat an und in den Goldersbach führt. Der Bach entwässert mit seinen weitverzweigten Zuflüssen den Schönbuch nördlich Tübingens auf einer Fläche von ca. 74 km2. Von seinen höchsten Quellen am Rötelberg (556m) fließt er als naturbelassener karbonatischer Mittelgebirgsbach in Richtung Südosten bis zur Mündung in die Ammer in Tübingen-Lustnau (312m). Er fließt dabei durch alle Keuperschichten Süddeutschlands und hat daher – je nach Untergrund – ein unterschiedlich starkes Gefälle, so dass der Bach sehr vielfältig strukturiert ist und zahlreichen Arten gute Lebensbedingungen bietet.

An zwölf ausgesuchten Probestellen von den Quellbereichen bis hin zur Mündung entnehmen wir mit Quadratfuß-Keschern (Squarefoot-Samplern) quantitative Proben der aquatischen Lebewelt: Eine definierte Bodenfläche (1 Quadratfuß = 929 cm²) des Baches wird dabei mit einer Bürste abgeschrubbt, alle sich darauf befindenden Tiere werden von der Strömung in den Kescher geschwemmt. Unser besonderes Interesse gilt dabei dem Makro-Zoobenthos. Den größten Teil der Bachfauna stellen Wasserinsekten. Vor allem die Larven der Eintagsfliegen, Steinfliegen und Köcherfliegen sind zahlreich vertreten: In einer Kescherprobe befinden sich durchschnittlich etwa 100 Insektenlarven!

Zusätzlich werden mit dem Klopfschirm erwachsende Wasserinsekten von der Uferrandvegetation abgeklopft. Im Frühjahr setzen wir auch Lichtfallen ein. Mit dem Fang erwachsener Tiere können auch nah verwandte Arten unterschieden werden, deren Larven nicht sicher auseinander gehalten werden können. Begleitend messen wir an jeder Probestelle auch abiotische Parameter wie Temperatur, Sauerstoffgehalt, pH und elektrische Leitfähigkeit.

Unser Ziel

Unser Ziel ist es zum einen, das Arteninventar eines der wenigen naturbelassenen Bäche in Baden-Württemberg möglichst vollständig zu erfassen. Zum anderen versprechen wir uns auch Aufschluss über die Häufigkeit der einzelnen Arten sowie deren räumliche und zeitliche Verteilung im Bach. Bei seltenen Arten wird im Rahmen des GBoL-Projektes auch der genetische Fingerabdruck gewonnen und in einer internationalen Gen-Datenbank zu Vergleichszwecken abgelegt.

Eine typische Eintagsfliege des Goldersbaches: Die Maifliege Ephemera danica (Bild: SMNS / A. Staniczek).

Literatur

  • Staniczek, A.H. (2013):  Rhabdiopteryx acuminata Klapálek 1905, eine für Baden-Württemberg neue Steinfliege (Plecoptera: Taeniopterygidae). Mitteilungen des entomologischen Vereins Stuttgart 48(2): 83-88. (pdf)
  • Staniczek, A.H. (2003): Eintagsfliegen – Manna der Flüsse. Stuttgarter Beiträge zur Naturkunde, Serie C, 53: 1-80.

 

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