Eine kolossale Entdeckung: Das Monster aus Peru, Perucetus colossus

16.10.2023 | Dr. Eli Amson

Ein 39 Millionen Jahre alter Urwal, der von einem internationalen Team um Dr. Eli Amson beschrieben wurde, ist ein Wendepunkt für die Evolution der Wale und die Entwicklung des extremen Gigantismus.

Perucetus colossus in seinem Küstenlebensraum. Geschätzte Körperlänge: 17-20 Meter (Bild: A. Gennari).

Die Entdeckung

Für mich begann das Abenteuer während meiner Doktorarbeit, vor etwas mehr als zehn Jahren. Ich war damals in Paris, am Muséum national d’Histoire naturelle. Ein Freund und Kollege von mir, Manuel Martínez-Cáceres, kam von seiner letzten Reise aus Peru mit einer Überraschung zurück: ein paar Dünnschliffe. Er erzählte mir, dass Paläontologen etwas Seltsames in der Ica-Wüste (Südperu) gefunden hätten. Mario Urbina, der die Entdeckung gemacht hat, erkennt meist sofort, was er findet, da er in diesen Dünen schon seit mehreren Jahrzehnten gräbt. Aber dieses Mal war es anders. Was aus dem Gestein ragte, war groß, seltsam geformt und hatte nicht die übliche Porosität, die man normalerweise bei fossilen Knochen sieht. Einige seiner Kolleg*innen sagten ihm: „Das sieht nicht wie ein Fossil aus, es könnte nur ein Stein sein.“ Aber er ist eine hartnäckige Person und hat es sich zur Aufgabe gemacht, einige Dünnschliffe anzufertigen, um das Geheimnis zu klären. Das waren die Dünnschliffe, die ich damals vor mir hatte, und die Schlussfolgerung war klar: Sie bestanden vollständig aus sehr kompaktem Knochen.

Das Team am Fundort in der Ica-Wüste in Peru (Bild: G. Bianucci).

„El Monstro“

Ich setzte meine Doktorarbeit fort (über ein weiteres peruanisches Wunder, das Wasserfaultier Thalassocnus), und hörte jahrelang nichts von dem mysteriösen neuen Fossil. Vor etwa fünf Jahren erhielt ich allerdings einen Anruf von meinem Doktorvater Christian de Muizon. Er erzählte mir, dass jahrelang Ausgrabungen stattgefunden hätten, um die riesigen Wirbel des bisher unbeschriebenen Tieres zu bergen, das sie umgangssprachlich „El Monstro“ nannten. Damals hätten nur ein paar Exemplare zur Präparation in das Museo de Historia Natural in Lima transportiert werden können. Christian schickte mir dann einige Bilder, die mich völlig umgehauen haben.

Für diejenigen, die sich mit der Evolution von Landwirbeltieren (Tetrapoden) beschäftigen, die in den Lebensraum Wasser zurückgekehrt sind (wie Wale und Seekühe), ist auf den ersten Blick klar, was mit diesen riesigen Knochen los ist: Sie sind pachyostotisch, eine Anpassung, die eine zusätzliche Ablagerung von Knochengewebe auf der Außenfläche der Knochen mit sich bringt. Dies ist bei vielen anderen Gruppen aquatischer Tetrapoden bekannt, beispielsweise bei Seekühen. Aber im Fall des „Monsters“ erreichte diese Adaptation ein beispielloses – und beinahe lächerliches – Ausmaß. Und seine Entdecker wollten, dass ich bei den Untersuchungen helfe!

Der Plan

Ich konnte mein Glück kaum fassen. Allerdings musste ich mich um andere Projekte kümmern, und die Ausgrabungen waren noch im Gange. Ich war nicht an den Exkursionen beteiligt, aber mir wurde gesagt, dass sie ungefähr 20 Mal in die Wüste zurückkehren mussten, um insgesamt 13 Wirbel, vier Rippen und einen Hüftknochen freizulegen. In der Zwischenzeit hatten wir begonnen, mit den anderen Co-Autor*innen das Studiendesign zu besprechen. Schnell fragte jemand, ob wir wohl das Tier mit dem schwersten Skelett vor uns hätten. Ich konnte mir kaum eine spannendere Herausforderung vorstellen, denn wir hatten es hier mit einem außergewöhnlichen Tier zu tun, von dessen Skelett wir jedoch nur wenige Knochen kennen. Wie kann man also eine verlässliche Schätzung der Gesamtskelettmasse des Tieres vornehmen?

Also entwickelten wir einen Plan: Wir würden die innere Struktur der Knochen mit Hilfe von Kernbohrungen beurteilen und das Volumen der fehlenden Teile durch das Heranziehen enger Verwandter mit vollständigen Skeletten rekonstruieren. Nach einigen weiteren Jahren der Geduld (einschließlich der COVID-19-Pandemie) planten wir die Reise für das Ende des Frühjahrs 2022, um die Fossilien zu untersuchen, und machten uns auf den Weg nach Lima.

Eusebio Diaz, Alfredo Martinez und Walter Aguirre bewegen einen der Wirbel, „eingepackt“ in einem Gipsmantel (Bild: G. Bianucci).

Hart wie Beton

Die Wirbel mit eigenen Augen zu sehen, war einfach unglaublich. Aber wir hatten viel zu tun und die Dauer unserer Reise war begrenzt. Zuerst haben wir die Wirbel oberflächlich gescannt, damit wir ihr Volumen genau messen und sie aus allen möglichen Winkeln betrachten konnten. Dies ist für so große Objekte nicht so simpel wie es klingt. Da manche Wirbel vermutlich fast 200 kg wiegen, kann man sie nicht einfach umdrehen.

Meine besondere Aufgabe bestand darin, in die Knochen zu schauen. Ich hatte mich gut vorbereitet (dachte ich zumindest). Ich hatte einen maßgeschneiderten Kernbohrer mit Diamantbeschichtung bestellt und bin dabei dem Rat eines Kollegen gefolgt, der damit die Knochen großer Dinosaurier untersucht. Doch als wir anfingen, das Fossil zu erforschen, wurde uns schnell klar, dass es keine leichte Aufgabe sein würde. Trotz unserer Bemühungen, den Bohrer abzukühlen, schmolz er buchstäblich bereits bei der ersten Probenentnahme. Wir mussten daraufhin eilig stabileres Werkzeug kaufen (normalerweise zum Durchstechen von Metall), was wiederum selbst ein schwieriges Unterfangen war. Am Ende gelang es uns, gerade genug Proben zu sammeln, um die Analysen durchzuführen.

Eli Amson und Alfredo Martinez bohren einen Kern in einen der Wirbel des neuen Fossils im Museo de Historia Natural in Lima (Bild: G. Bianucci).

Ein Rekordbrecher

Zurück in Stuttgart bereitete mein Kollege Christoph Wimmer-Pfeil alle Dünnschliffe vor und nach der Digitalisierung war ich bereit, alle benötigten Zahlen zu berechnen. Die Geschichte schrieb sich dann im Grunde von selbst: Mit einer minimalen Schätzung von 5,3 Tonnen war das Skelett tatsächlich das schwerste aller bekannten Säugetiere bzw. Wasserwirbeltiere.

Für viele Menschen ist es natürlich auch interessant zu wissen, wie schwer das ganze Tier zu Lebzeiten war. Dazu haben wir das Verhältnis zwischen Skelettmasse und Gesamtkörpermasse bei heutigen Meeressäugetieren herangezogen. Selbst die niedrigste Schätzung (85 Tonnen) zeigt, dass Perucetus colossus (wie wir die neue Art genannt haben) leicht mit einigen ausgewachsenen Blauwalen mithalten kann, was ihn zu einem wahren Riesen macht.

Das ist eine große Sensation, denn bisher ging man davon aus, dass sich riesige Cetaceen (die Gruppe, zu der diese Urwale sowie lebende Bartenwale und Zahnwale gehören) erst vor kurzem (vor bis zu 10 Millionen Jahren) entwickelt haben – und das nur im offenen Meer. P. colossus interessierte sich allerdings offensichtlich nicht für das offene Meer, denn alle Hinweise deuten darauf, dass es sich bei dem Tier um einen Küstenbewohner handelte.

Literatur

Giovanni Bianucci, Olivier Lambert, Mario Urbina, Marco Merella, Alberto Collareta, Rebecca Bennion, Rodolfo Salas-Gismondi, Aldo Benites-Palomino, Klaas Post, Christian de Muizon, Giulia Bosio, Claudio Di Celma, Elisa Malinverno, Pietro Paolo Pierantoni, Igor Maria Villa, Eli Amson. 2023: A heavyweight early whale pushes the boundaries of vertebrate morphology. Nature 620: 824-829. DOI: 10.1038/s41586-023-06381-1

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