Kurzlebig und doch älter als man denkt: Eintagsfliegen sind eine recht urtümliche Insektengruppe und besitzen einige Eigenschaften und Merkmale, die „modernere“ Insekten nicht mehr haben. Dazu zählt unter anderem ihr recht ursprünglicher Körperbau. Im Gegensatz zu vielen anderen Fluginsekten, wie Fliegen oder Mücken, weisen ihre Flügel noch einen wellblechartigen Aufbau mit festen Längsadern auf. Die Längsadern liegen abwechselnd hoch und tief und verleihen so den Flügeln Stabilität. Manche dieser stabilen Längsadern sind aber in der Flügelmitte von flexiblen blasenförmigen „Schwachstellen“ durchbrochen, den sogenannten Bullae. Bisher herrschte die Meinung, dass diese Bullae eine wesentliche Rolle beim Flug der altertümlichen Flatterer spielen. Ein internationales Team um Dr. Arnold Staniczek, Kurator für aquatische Insekten am Naturkundemuseum Stuttgart, konnte nun beweisen, dass die Bullae ein völlig anderes Einsatzgebiet haben und zudem Einblicke in die frühe Evolution der Fluginsekten erlauben.
Lange Zeit galt die Annahme, dass die flexiblen Längsaderbereiche das Abknicken der äußeren Flügelhälfte ermöglichen, um den Luftwiderstand beim Flügelaufschlag zu verringern. Hochgeschwindigkeitsaufnahmen, die Staniczeks Team vom Flug der Eintagsfliegen machte, zeigten jedoch, dass die Flügeladern bei jeder Bewegung stabil bleiben.
Die Lösung des Rätsels um die membranösen Schwachstellen liegt in einer weiteren Besonderheit der Eintagsfliegen. Während aus den Larvenstadien der meisten Fluginsekten direkt ausgewachsene, flug- und fortpflanzungsfähige Tiere schlüpfen, besitzen Eintagsfliegen ein zusätzliches Entwicklungsstadium, das zwischen aquatischer Larve und erwachsenem Insekt geschaltet ist. Dieses Zwischenstadium, die Subimago, ist zwar schon flugfähig, kann sich aber noch nicht fortpflanzen und häutet sich nach kurzer Zeit zum fortpflanzungsfähigen adulten Tier, der Imago.
Zeitlupenaufnahmen der Häutung von der Subimago zur Imago zeigten schließlich die wahre Funktion der Bullae: Um die neuen Flügel aus dem Häutungshemd der alten Flügel zu befreien, hebt das Tier die Flügel an, die dann an den definierten Schwachstellen abknicken und dadurch das unbeschädigte Herausziehen aus dem alten Flügel ermöglichen.
Das Team konnte ebenfalls belegen, dass bei den wenigen Eintagsfliegen mit abgewandelter oder verlorengegangener Subimaginalhäutung die Bullae im Flügel fehlen. Generell war aber mit den Bullae nun ein zuverlässiger Marker gefunden, mit dem eine Subimaginalhäutung auch bei fossilen Arten belegt werden kann. So ließ sich bei der Untersuchung fossiler Arten die Existenz von Bullae bereits in 272 Millionen Jahre alten fossilen Eintagsfliegen-Vorfahren aus dem Perm nachweisen. Die kleinen „Bläschen“ im Flügel der Eintagsfliegen können so direkt belegen, dass auch deren permische Vorfahren bereits ihre Flügel wohl auf die gleiche Weise gehäutet haben. Dies gilt als wichtiger Beleg dafür, dass es sich bei der Subimaginalhäutung tatsächlich um ein altes Merkmal aus grauer Vorzeit handelt, das sich lediglich bei Eintagsfliegen erhalten hat.