Ameisen-Alarm! Tapinoma magnum – wenn kleine Insekten große Probleme machen

15.05.2025 | M.Sc. Amelie Höcherl

Von flinken Krabblern, Citizen Science und der Frage “Ist das jetzt Tapinoma magnum?”

Eine Ameise der Ameisenart Tapinoma magnum. (Bild: A. Bellersheim / SMNS)

Als Insektenforscherin oder Insektenforscher ist man schnell Ansprechpartner*in des engeren und weiteren Bekanntenkreises für alles, was mehr als vier Beine hat. Kaum krabbelt es im Haus oder Garten, landen Fotos oder Gläser mit den Insekten im Postfach oder auf dem eigenen Schreibtisch. Obwohl wir uns eigentlich mit Spannern (Nachtfaltern) und Brackwespen (Microgastrinae, parasitoide Wespen) beschäftigen, sind wir es deshalb gewohnt, immer wieder schnell in eine neue Gruppe einzutauchen, Literatur herauszusuchen oder Spezialisten für die Insektengruppe zurate zu ziehen. So auch mit Tapinoma magnum, der Großen Drüsenameise.

Informationen zum Tapinoma-Projekt

Pressemitteilung zum erfolgreichen Auftaktworkshop
 

Eine neue, unbeliebte Nachbarin: Die Große Drüsenameise Tapinoma magnum breitet sich aus

Es gibt ein “neues” Insekt, die Große Drüsenameise Tapinoma magnum, die im Ländle einiges Unheil anrichtet und sich immer weiter ausbreitet. Die Art stammt ursprünglich aus dem Mittelmeerraum, doch sie breitet sich seit einigen Jahren zunehmend auch in Süddeutschland aus, mit verheerenden Folgen: So kam es in Kehl bereits zu Stromausfällen, weil sie ihre Nester auf elektrische Anlagen ausbreitete. Tapinoma magnum ist eine von insgesamt fünf in Deutschland vorkommenden Arten der Gattung Tapinoma, die sich sehr ähnlich sehen. Sie bildet sogenannte Superkolonien, welche aus zahlreichen Brutzentren mit jeweils mehreren Königinnen und Tausenden Arbeiterinnen bestehen. So bildet sich über die Jahre ein weitverzweigtes Netzwerk von Nestern einer Kolonie, das aus  Hunderttausenden bis Millionen von Arbeiterinnen und Tausenden fortpflanzungsfähigen Königinnen besteht. Dadurch hat die Art das Potenzial, sich rasant flächig auszubreiten und lässt sich auch nur sehr schwer bekämpfen.

Infolgedessen startete Anfang 2025 ein von den Naturkundemuseen Stuttgart und Karlsruhe koordiniertes Forschungsprojekt. Ziel ist es, die bestehende Verbreitung und die Ausbreitungsmechanismen der Art zu verstehen und darauf aufbauend Prognosen für ihre zukünftige Ausbreitung zu treffen. Zudem sollen effektive Strategien zur Bewältigung der Invasion von Tapinoma magnum entwickelt werden. Als Insektenforscher*innen sind wir beide in der Koordination des Projektes tätig und kümmern uns zusätzlich um den Citizen Science Aspekt des Projekts sowie die Einbindung verschiedener Interessenvertreter.

Wie erkenne ich die Große Drüsenameise Tapinoma magnum?

Zugegeben, die Art Tapinoma magnum über ihr Aussehen sicher zu bestimmen ist sehr schwierig und es braucht erhebliche Vorkenntnisse und technisches Equipment wie ein Stereomikroskop mit hoher Vergrößerung. Schon die Unterscheidung von den beiden einheimischen Tapinoma-Arten erfordert einige Erfahrung, aber eine eindeutige Diagnose zur Unterscheidung von zwei weiteren aus dem Mittelmeerraum eingeschleppten Arten – Tapinoma ibericum und Tapinoma darioi – ist selbst für Fachleute, sofern sie keine Ameisenexpert*innen sind, fast unmöglich.

Aber die gute Nachricht ist, die Gattung Tapinoma kann man selbst als Laie bei genauem Hinsehen erkennen. So lassen sich viele zunächst scheinbar verdächtige Ameisenfunde mit etwas Beobachtung und Auge fürs Detail bereits ausschließen.

Folgende Kriterien helfen bei einer ersten Einschätzung:

1. Verhalten

Im Sommer bildet diese Ameisenart teils breite, mehrspurige Ameisenstraßen. Die Arbeiterinnen sind sehr zahlreich und die Nester kommen auf großen Flächen vor. Bei Störung strömen die Arbeiterinnen sehr schnell und zahlreich aus dem Boden an die Erdoberfläche. Der Auswurf von Erdreich um die Nesteingänge herum ist auffällig und wird in den betroffenen Gebieten als „eindeutig nicht normal“ beschrieben.

Kollage von Verhaltensmustern der Ameise Tapinoma, als sehr breite Ameisenstraße auf Pflastersteinen, Sandauswurf an Nesteingängen und Schwärme von Ameisen bei Störung am NesteingangKollage von Verhaltensmustern der Ameise Tapinoma, als sehr breite Ameisenstraße auf Pflastersteinen, Sandauswurf an Nesteingängen und Schwärme von Ameisen bei Störung am Nesteingang
Abbildung 1: Charakteristische Verhaltensweisen von Tapinoma magnum. A) Breite, mehrspurige Ameisenstraße (Kolonne), B) Erheblicher Sandauswurf an Nesteingängen, C) Ausströmen zahlreicher Ameisen bei Störung des Nestes. (Bilder: S. de Toni, M. Verhaagh, R. Schreck)

2. Farbe und Größe

Tapinoma magnum ist komplett schwarz gefärbt, ohne bräunliche Färbung an einzelnen Körperteilen (wie bei anderen Arten, siehe Abbildung 3A, 3B und 3C). Entgegen des wissenschaftlichen Namens (magnum = groß) sind die Arbeiterinnen (das sind die Ameisen, die man in der Regel herumlaufen sieht) nur zwischen etwa 2-4 mm groß und treten in vielen verschiedenen Größen gemeinsam auf (Vergleich in Abbildung 2).

Um die Größenunterschiede der Ameisen und den Körperbau besser vergleichen zu können bietet sich folgendes Experiment an (Beispiel in Abbildung 2A):

Man lockt die Ameisen mit einem Zuckerangebot (z. B. Zuckersirup) auf ein ca. 5 cm großes Stück Papier, das man nah an einem Nesteingang oder einer Ameisenstraße auf den Boden legt. Nach 10-20 Minuten sammeln sich dort meist mehrere Tiere. Mit einem Lineal als Maßstab lassen sich dann in Ruhe Fotos aus verschiedenen Perspektiven machen, um Details wie Körpermerkmale genauer zu untersuchen.

Mehrere Individuen zweier verschiedener Ameisenarten im GrößenvergleichMehrere Individuen zweier verschiedener Ameisenarten im Größenvergleich
Abbildung 2: Tapinoma magnum, deutlich erkennbar einheitlich schwarze Färbung und Größenunterschiede der Arbeiterinnen. A) Mehrere Arbeiterinnen an einem Agavendicksaft-Tropfen, aufgenommen mit einer Handykamera, ein besonders kleines und großes Individuum sind mit je einem Pfeil markiert B) Größenunterschiede der Arbeiterinnen auf weißem Papier. (Bilder: U. Quitzsch, A. Höcherl)

3. Körperbau

Ein wichtiges Erkennungsmerkmal bei Ameisen ist der Knoten zwischen Vorder- und Hinterleib (teils auch als zwei Knoten oder Schuppe ausgeprägt). Bei Tapinoma ist dieser Knoten flach und vom Hinterleib verdeckt, während er bei anderen Gattungen deutlich sichtbar ist. Beispiele für Knoten bei einigen der Ameisen-Unterfamilien zeigen die Abbildungen 3 A-E, die Pfeile zeigen jeweils auf den/die Knoten. Abbildung 3F zeigt im Vergleich dazu Tapinoma magnum.

4. Geruchstest

Wenn man eine Ameise vorsichtig reizt, verströmt sie einen intensiven Geruch, der nur schwer mit bekannten Gerüchen vergleichbar ist.

Treffen diese erwähnten Kriterien nicht zu, können Sie schon mal aufatmen und haben mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit eine der 120 anderen in Deutschland vorkommenden Ameisenarten vor sich. Diese stellen in der Regel keine Bedrohung für Haus und Garten dar, im Gegenteil, sie sind ein wichtiger Bestandteil unseres Ökosystems (siehe Ameisen-Info).

Sechs Nahaufnahmen von verschiedenen AmeisenartenSechs Nahaufnahmen von verschiedenen Ameisenarten
Abbildung 3: Ameisen der in Deutschland vorkommenden Unterfamilien im Vergleich mit Lasius fuliginosus (Verwechslungsart) und Tapinoma magnum. A) Myrmicinae (2 Knoten, Petiolus und Postpetiolus), B) Formicinae (deutlich sichtbare, große Schuppe), C) Dolichoderinae (Dolichoderus quadripunctatus, ein Knoten), D) Ponerinae (Schuppe idR sehr groß), E) Lasius fuliginosus (kleine, aber erkennbare Schuppe), F) Tapinoma magnum (Knoten klein und flach, mit bloßem Auge kaum erkennbar). (Bilder: A. Bellersheim, A. Höcherl)

Der Tapinoma Verdachtsfall hat sich erhärtet – Was nun?

Wenn diese Kriterien für die Gattung Tapinoma auf die von Ihnen untersuchten Ameisen zutreffen, dann ist es wichtig, diese Bestimmung nochmal von Expert*innen bestätigen zu lassen. Dazu können Sie, wie oben beschrieben, einige Fotos aufnehmen und eine Meldung an unsere E-Mail Adresse tapinoma(at)smns-bw.de vornehmen.

Tapinoma magnum bestätigt – Wie geht es weiter?

Vom Privat-Einsatz von Insektiziden wird abgeraten, besonders bei bereits großen, etablierten Superkolonien. Hier gelingt es mit lokalem Gifteinsatz meist nicht, ganze Kolonien dauerhaft zu beseitigen. Zusätzlich können unsachgemäß ausgebrachte Insektizide in Innenräumen die Gesundheit gefährden. Im Garten treffen sie nicht nur die Zielart, sondern können auch zahlreiche nützliche Ameisen- und andere Insektenarten schädigen und die Umwelt stark belasten, etwa durch Verunreinigung des Grundwassers. Eine Bekämpfung mit Insektiziden gehört daher in die Hand erfahrener Schädlingsbekämpfer.

Empfohlen wird, auf jeden Fall die Gemeinde zu informieren, denn ein schnelles, koordiniertes Vorgehen im größeren Maßstab auf öffentlichen und privaten Grundstücken ist entscheidend.

Beispiel Kehl: Dort wird in diesem Jahr bereits frühzeitig mit dem Einsatz von heißem Wasser begonnen, ein Ansatz, aus dem andere Gemeinden wertvolle Erkenntnisse gewinnen können.

Beispiel Zürich: Hier konnte durch frühzeitiges Erkennen und schnelles, koordiniertes und professionelles Handeln von Gemeinde und Schädlingsbekämpfern eine neue Kolonie in einem abgegrenzten Befallsgebiet durch den kombinierten Einsatz verschiedener Insektizide eliminiert  werden.

Wichtig ist daher auch die Vernetzung mit anderen betroffenen Kommunen, um Erfahrungen auszutauschen und gemeinsam effektive Strategien zu entwickeln.

Wissenschaft trifft Gesellschaft: Das Projekt im Detail

Unser Forschungsprojekt kombiniert moderne genetische Analysen mit klassischer Feldbiologie und Citizen Science:

  • Genomische Spurensuche
    Mit modernen Sequenzierungstechniken erstellen wir ein Referenzgenom. Dieses hilft, genetische Marker zu identifizieren, um eine Überwachung und Nachverfolgung der Ausbreitung zu ermöglichen. Durch Genotypisierung der Ameisen können wir Tapinoma magnum schneller identifizieren und von den ähnlich aussehenden Arten unterscheiden. So können wir Quellen der Ausbreitung im größeren geographischen Kontext ausfindig machen, das Zusammenwachsen unterschiedlicher Kolonien dokumentieren und geographische Barrieren aufdecken.
  • Bürger*innen als Forschende
    Über den Citizen-Science Aspekt sammeln engagierte Bürger*innen Daten über die Ausbreitung von Tapinoma magnum. So entsteht eine dynamische Verbreitungskarte und ein größerer Datensatz lässt bessere und genauere Modelle zu.
  • Ökologische Modellierung
    Wir identifizieren Umweltfaktoren, die das Vorkommen begünstigen und entwickeln auf dieser Basis ein Ampelsystem, das Kommunen zeigt, wie hoch das Risiko für eine Ausbreitung in ihrem Gebiet in verschiedenen Zukunftsszenarien der Erderwärmung ist.
  • Koordination und Vernetzung
    Ameisen machen nicht an Landkreis- oder Landesgrenzen halt. So kommt die Art bereits in der Schweiz, dem Elsass, in Belgien, Holland und weiteren Ländern vor. Deshalb bietet unser Projekt eine Plattform, über die wir ein Netzwerk mit Nachbarregionen aufbauen. Zwei Workshops verbinden Stakeholder aus Wissenschaft, Politik und Verwaltung miteinander und ermöglichen schnellen, direkten Austausch, welcher zentral im Umgang mit dieser invasiven Art ist.

Warum das alles? Weil Wissen Schutz bedeutet

Invasive Arten sind keine Seltenheit mehr und sie gehören zu den großen Herausforderungen des globalen Wandels. Tapinoma magnum ist nur eine dieser Arten, die zeigt, wie wichtig es ist, solche Invasionen früh zu erkennen, zu verstehen und aktiv gegenzusteuern. Jede*r Einzelne kann auch mit bewusstem Konsum dazu beitragen, der Ausbreitung neuer invasiver Arten entgegenzusteuern. So ist eine Hypothese zur Ausbreitung von Tapinoma magnum, dass die fortpflanzungsfähigen Königinnen der Art oder Teile einer Kolonie in der Erde mediterraner Gartenpflanzen (z.B. Oliven- oder Zitrusbäume, Oleander etc.) zu uns transportiert wurden und weiterhin werden. Das Rheintal stellt aufgrund seines von Jahr zu Jahr zunehmend mediterranen Klimas vermutlich einen wichtigen Korridor für diese und weitere invasive Arten dar.

Unser Ziel ist es deshalb, nicht nur die relevante Forschung zu betreiben, sondern dieses Wissen auch in die Gesellschaft zu tragen mit einem Bewusstsein dafür, wie komplex und gleichzeitig faszinierend das Zusammenleben mit der Natur sein kann, selbst, wenn sie in Form winziger Sechsbeiner daherkommt.

Ameisen-Info

Ameisen sind faszinierend und schöne Lebewesen. Zu unseren persönlichen Favoriten zählen die Waldameisen mit ihrer beeindruckenden Lebensweise (Abbildung 3B), oder die auffällig gefärbte Vierpunktameise (Abbildung 3C). Außerdem erfüllen nahezu alle Ameisenarten wichtige Funktionen im Ökosystem: Sie verbessern den Boden, verbreiten Pflanzensamen und sind in ihrer Rolle als Räuber ein wichtiger Bestandteil des Nahrungsnetzes. Viele andere Arten sind auf sie angewiesen – etwa die seltene Ameisengrille oder der gefährdete Dunkle Wiesenknopf-Ameisenbläuling. Doch auch viele Ameisenarten sind selbst bedroht, oft durch menschliche Aktivität.

Obwohl Ameisen meist erst dann unsere Aufmerksamkeit bekommen, wenn sie als Problem wahrgenommen werden, sollten wir sie nicht in die Schublade der “Schädlinge” stecken. Denn ohne Ameisen würden sich viele unserer Ökosysteme stark verändern.

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